Der Bribery Act 2010, das aktuelle britische Antikorruptionsgesetz, ist das schärfste Gesetz gegen Unsitten, persönliche oder unternehmerische. Ein Gentleman der Krone ist unbestechlich und willigt niemals in eine Schmiergeldzahlungserwartung ein. Bezahlung der Drinks und weiterer Wünsche der Dame, welcher man die Hand auf den Oberschenkel legt und ganz, ganz langsam Richtung Scham hochfährt, dann aber eine geschmiert kriegt, sind nicht Gegenstand dieser Verhaltensregeln. Der Lordkanzler und Staatssekretär der Justiz wird sich dahinter klemmen müssen. Wahrscheinlich wird er es gleich machen wie bei der Korruption: Die Unternehmen müssen eine seriöse Risikobeurteilung vornehmen, sie müssen durch das Topkader alle Mitarbeitenden auf ein Programm zur Übergriffs-Prävention einschwören, sie müssen ihre Geschäftspartner bezüglich sexistischer Äusserungen oder respektlosem Verhalten dem anderen Geschlecht gegenüber überwachen. Die Unternehmen müssen selbst klare Anweisungen und differenzierte Untersuchungs- und Sanktionsvorgehensweisen definieren und erlassen. Das Compliance-Programm muss dann intern regelmässig in seiner Wirkung gemessen werden können. Und alles muss extern überprüft werden. Wenn all diese Bedingungen erfüllt sind, steht ein Unternehmer ausser Verantwortung, falls eine mitarbeitende Person ohne sein Wissen gegen den Bribery Act verstossen hat.
So werden Unternehmer zu Verwaltern, nur noch wenige teilen die Sicht der Eigentümer und Investoren. Die Post muss sich von der Wettbewerbskommission vorwerfen lassen, ihr Tarifsystem für Geschäftskunden sei so uneinheitlich und kompliziert, dass dies einer Diskriminierung der besser zahlenden Kunden gleichkomme. In Anbetracht der Gesamtumstände hat die WEKO eine Sanktion in Höhe von insgesamt 22‘622‘641 Franken ausgesprochen. Diese Formulierung kann nicht der Ermittlung des Betrages gerecht werden, die Gesamtumstände sind nicht auf einen Franken genau umzurechnen. Der Preisüberwacher stellt die SBB in den Senkel, weil sie die leichte Budgetverbesserung durch die Senkung der Mehrwertsteuer nicht direkt kundenwirksam verbuchen wollte. Die Finma befahl der UBS Bruch des Bankgeheimnisses und geht gegen den Krisengewinner Vinzenz vor. Der Verwaltungsrichter befielt dem Oberrichter, sein Geschäft umzuordnen und ein Teil der parastaatlichen Beschwerdeführenden vorzufinanzieren. Das Wachstum der Bürokratie ist robust und weitet die Pfründe der Jurisprudenz.
Die Tötung zweier Jugendlicher durch Balkanraser in Schönewerd ist ein Schock für alle Lebenden. Eine zufällige Begegnung zweier Junglenker mit identischem Fahrzeug mündete direkt in ein Autorennen und dann in die Tragödie. Und ja, der hintere Fahrer fuhr am Ort der Katastrophe vorbei. Das Abdrängungsmanöver war schliesslich geglückt. Volksseele oder common sense: Das muss schon ein paar Jahre Gefängnis geben, die brauchen Abkühlung und Ruhe. Killias führt weitere Gründe für eine hohe Strafe an. Das Strafmass legen aber die Gerichte nicht zuletzt auf Grund der Willenhaftigkeit der Straftat fest. Fahrlässigkeit: Sowas kann passieren. C’est pas grave. Vorsätzlichkeit: Du hättest wissen müssen, das sowas passieren kann. Das musste ja so kommen!
Für den Nachweis des Vorsatzes kann sich der Richter – soweit der Täter nicht geständig ist – regelmässig nur auf äusserlich feststellbare Indizien und auf Erfahrungsregeln stützen, die ihm Rückschlüsse von den äusseren Umständen auf die innere Einstellung des Täters erlauben. Nach der Rechtsprechung darf er vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter die Verwirklichung der Gefahr als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, sie als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolges ausgelegt werden kann. Was wie eine vernünftige Argumentation klingt, ist sprachlicher Unsinn aus dem Bundesgerichtsurteil. Das Gericht spielt sich als die Instanz auf, die den Wahrscheinlichkeitsgrad ziemlich genau einschätzen kann, mit dem sich die Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr dem Fahrer aufgedrängt hat. Sowas würden sich selbst forensische Psychiater kaum zutrauen.
Die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verkehrsunfalles war aufgrund der örtlichen Situation und seiner Fahrweise derart hoch, dass er sie spätestens im Zeitpunkt des Überholmanövers erkannt haben musste. Dass er den Erfolg nicht wollte, liesse sich nur annehmen, wenn er vor der Ortschaft seine Fahrt abgebremst und damit dem Beschwerdeführer 1 erlaubt hätte, sein Überholmanöver rechtzeitig zu vollenden. Gegen diesen Bundesgerichtstext müssen nun auch logische und sprachphilosophische Einwände erlaubt sein. Auszusagen, dass etwas gewollt passiert ist, weil es passiert ist, ist eine nomalistische Verkennung der Kausalitäten. Auszusagen, dass nur etwas ungewollt ist, wenn es nicht passiert, ist der unzulässige Umkehrschluss dazu. Die Gerichtsschreiber werden richtig schnoddrig: Wenn man etwas „drauf ankommen“ lässt oder gar „in Kauf nimmt“, so hat man das gewollt oder gar bestellt.
Zum Vorsatz gehört nicht nur Wissen und Wollen, sondern auch, sich gegen rechtlich geschütztes Gut zu entscheiden. Das kann man unseren Rasern nicht ernsthaft unterstellen, sie waren nicht auf Menschenjagd. Glücklicherweise kennt das Schweizer Recht den das Wort Eventualvorsatz (der dolus eventualis aus dem Titel, endlich! – d. Hrsg. ich sorge mich um die notorische Unverständlichkeit), der dem Vorsatz nahe kommt: Wenn man etwas hätte für möglich halten müssen (hier: „einen möglichen Erfolg einer Tötung“). Der Gedanken an den möglichen Erfolg einer Tötung wollte bei unseren Balkanis nicht aufscheinen, vielleicht war das Begriffsinventar ungenügend. Den Tätern wird schliesslich auch „pflichtwidrige Unvorsicht“ und „kaum zu überbietende Sorgfaltspflichtverletzung“ vorgeworfen – sprachliche Bausteine juristischer Fahrlässigkeit. Ja, die Sache mit Wollen und Wissen ist für Juristen und Juristinnen gleichermassen schwierig, da sie mit der Sprache und Philosophie des 19. Jahrhunderts die Alltagssprache bedienen müssen.
Wahrscheinlich war ich schulisch noch unterstufig, als ich meinen Vater einmal als zu hart, als ungerecht empfand. Damals entglitt mir ein Teller aus dem Geschirrtrockentuch und zersplitterte am Küchensteinboden. Warum ich da in der Küche Geschirr trocknete, weiss ich nicht mehr. Freiwillig tat ich sowas eigentlich nicht. Auf jeden Fall fühlte ich mich niedergeschmettert, als wäre ich der Teller. „Es war keine Absicht!“ beteuerte ich, doch Vater zeigte auf die Bruchstücke und Splitter. Keine mildernden Umstände. Kaputt ist kaputt. Ich weinte, das wärmte. Das Resultat zählt. Wer weiss schon, wie viel Absicht in fremden und auch in den eigenen Handlungen ist?
In der Neurophilosophie auf jeden Fall gibt es mehr Fragen zum Thema Willen als Antworten. Die Handlungsimpulse scheinen ihren Ursprung im unbewussten Körper zu haben, einige Impulse erreichen auch das Bewusstsein und können dort in Willen transformiert werden. Oder auch nicht. Wir können die meisten Impulse mental übersteuern, wenn wir das für die bessere Lebensweise halten. Auf jeden Fall machen wir das meiste unbewusst. Das Bewusstsein ist nur die Spitze eines neuronalen Eisberges. Das unbewusste Handeln wirkt meist authentisch und ist meistens klar verständlich, während das absichtliche, reflektierte Handeln oder Reden das Gegenüber oft über Motive und Gedankengänge rätseln lässt. Fahrlässig vs. vorsätzlich unterscheiden ist objektiv nicht möglich. Verschärfender Vorsatz kann nur auf die subjektive Aussage des Täters in Form eines Schuldeingeständnisses abstellen. Aber auf die Aussage des Täters vertrauen ist fahrlässig: Der darf vor Gericht sogar lügen. Ich war auch einmal Raser. Und die Polizei bescheinigte mir gutes Sehvermögen. Ich musste zum Augenarzt und die Sehbeschränkung im Fahrausweis bei der Polizei annullieren. Sie hatten gut 180 Sachen auf der Überlandstrasse gemessen, aber nicht aufgezeichnet. Zumindest war das eventualfahrlässig: Ich hätte wissen müssen, dass hinter einer Scheune Polizisten und Messgeräte hätten verborgen sein können.
Lieber Jürg Ich lese und freue mich ob der kunterbunten Schreiberei, die du immer wieder loslässt. Ich hoffe es geht dir gut und denke, du geniesst das Leben. Das wünsche ich dir jedenfalls zum Geburtstag – Gesundheit, Glück und Segen. Ich arbeite noch ein Wücheli, dann geh ich in die Skiferien und dann melde ich mich per SMS, um einmal auf ein Feierabendbier abzumachen. Herzlich Heini
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