Im Prinzip

Über das, worüber man nicht sprechen kann, muss man schweigen. Worüber man nicht schweigen kann, muss man reden und schreiben. 

Grüss Gott ist Konjunktiv präsens, ein kupitiver Optativ. Vielleicht haben das die irischen Mönche in den bayerischen Wald gebracht. Grüessech meint Gott segne Dich. 

Hier steht das Wort Gott, Doppelklick: …nichts. 

Verschiedene griechische Philosophen sprachen von „dem Einen“, und Hegel verwendete Synonyme wie das „unendliche Leben“, „das Absolute“, der „Begriff“, die „Idee“, der „absolute Geist“ oder die „einzige absolute Wirklichkeit“. Hermeneutische Religionsphilosophie und religiöse wie naturphilosophische Theosophie, es geht immer um dieses Eine. Wir sind doch alle Platoniker, Hegelianer, kennen die Bibel und andere heilige Bücher.

Gott ist einfach göttlich. Das Göttliche. Die Gottheit. Man kann Gott nicht definieren, denn er ist das Undefinierbare. Gott ist seine eigene Nomenklatur, und manche wagen es nicht, den einen seiner Namen auszusprechen. Gott ist das Wort, das keines mehr ist.

Das Göttliche trägt alle Eigenschaften und Attribute in sich, die es auf der Welt gibt, und es nimmt die Gestalt jedes Dinges, jeder Begebenheit, jeder Zeit an. Das ist ein belletristischer Satz aus Olga Tokartschuks Jakobbüchern, theologisch gelesen Fachliteratur.

Unsere Sprache kann Gott beliebige Attribute zuordnen. Jede Aussage von Gott zeigt so viel, wie sie verbirgt. Allwissend ist er nicht. Das wäre unsinnig und uninteressant, passt auch nicht zu unserer Überwachungstechnologie. Sich selbst bewusst ist er wohl auch nicht, da wäre er uns Menschen ähnlich, nicht umgekehrt, wie die Bibel sagt. Allgegenwärtig schon. Mit all- geht fast alles. Die Tatsache, dass es möglich ist, sich ein perfektes, höchstes Wesen vorzustellen, beweist dessen Existenz (ontologisches Argument). Anselm von Canterbury: Wir können denken, dass etwas ist, über das Grösseres nicht gedacht werden kann. Etwas, das sowohl im Geist (in intellectu) als auch in Wirklichkeit (in re) existiert, ist größer als etwas, das nur im Geiste ist. Wenn wir also etwas denken können, über das Größeres nicht gedacht werden kann, muss dieses auch in Wirklichkeit existieren (denn sonst wäre es etwas, über das Größeres gedacht werden kann). Schon die Möglichkeit, Gott zu benennen, beweist ihn nomologisch. 

Die negative Theologie lehnt positive Aussagen über Gott grundsätzlich ab, es lässt sich nur sagen, was Gott nicht ist. Un-endlich. Wenn Du ihn nämlich begriffen hast, ist es nicht Gott, so Augustinus. Thomas von Aquin legt fünf Gottesbeweise vor und ergänzt: Gott selbst kann uns sagen, was oder wer er für uns sein will. Gödel brachte den ontologischen Gottesbeweis mit der Modallogik in eins. Und für Trojanow ist die Vielfalt des Glaubens an sich schon göttlich, vielleicht der einzige Gottesbeweis. 

Gott ist das Absolute. Nicht, dass alles von ihm abhinge, sondern so, dass er alle Abhängigkeiten auflöst. Gott ist, wie schon Plotin sagte, das Eine. Der Plural Götter wird deshalb nicht für Gottheiten, sondern nur für historische und kulturalistische Emanationen verwendet. Gott toleriert andere Gottheiten. Götter interessieren ihn wenig. 

Gott ist offensichtlich offenbar. Man kann nicht übersehen, dass man ihn wahrnehmen kann. Die Glaubenskriege der Aufklärung: Wie stehen Wahrnehmung und Offenbarung zueinander?. Deisten wiesen die göttliche Offenbarung als übernatürlich zurück. Später sagten sie auf die Frage der Theodizee, dass sich Gott nach der Schöpfung zurückgezogen habe und seither nicht mehr in den Weltenlauf eingreife. Gott soll sich davongestohlen haben? Gott ist dort, wo nach ihm gefragt und gesucht wird. 

Der jüdisch-christliche Gott wird von den meisten Theologen als transzendent betrachtet, das heisst, er ist „ausserhalb“ der Welt, die er erschaffen hat. Gleichzeitig ist er bis zu einem gewissen Grad auch immanent, also Teil der Welt – zum Beispiel durch seine Anwesenheit in den religiösen Gefühlen Gläubiger. Das ist eine religionswissenschaftliche Feststellung. Bei anderen ist es christliche Gewissheit. Scheint also recht wahrscheinlich. Transzendenz ist das Gespür für die Anwesenheit des Abwesenden.

Da das Universum unendlich und ewig ist, hat Gott schon für Giordano Bruno etwas durchaus Diesseitiges. Er muss ja innerhalb dieser Unendlichkeit und Ewigkeit sein, sonst kriegt die Vernunft Kopfweh. Im Jahr 2000 wurde vom Papst zugegeben, dass die Hinrichtung vor 400 Jahren ungerechtfertigt war.

Das menschliche Transzendenzbegehren erfährt Gott in seiner unendlichen Ewigkeit, er zeigt sich im Hier-und-Jetzt als Nunc Stans. Wir können die Ekstase der Existenz austanzen wie den Orgasmus. La vita e divina e bella. Gott ist gut. Aber nicht allmächtig. Joas Prinzip Verantwortung verbietet das, auch wenn Leibniz’ Philosophie eine wunderbare Lösung für das Problem des Leids gefunden hat. 

Ein Himmelsgott ist er, allumfassend. Beständig und veränderlich. Geschlechtsübergreifend. Als Mann und Frau noch ungetrennt eine platonische Kugel waren, war Gott im Menschen. Noch heute kann er den Menschen in der liebevollen Vereinigung innewohnen. Da sind auch Engel und der heilige Geist dabei.

Die Perle, von Cusanus, ist Gottesglaube und Paradoxe Einsicht der Vernunft in einem: coincidentia oppositorum, Gott ist das Zusammenfallen der Gegensätze.

Die jüdische und christliche Schöpfung ist eine creatio ex nihilo. Ex nihil nihil fit, widerspricht Aristoteles. Gott rechnete, und als er eine Zahl durch Null und Nichts teilen wollte, entstand die Welt. Eine Singularität als ursächliche Voraussetzung eines Urknalls ist weder dem Demiurgen noch dem Göttlichen würdig. 

In der Psychoanalyse wird Gottglaube als eine Form des Wunschdenkens betrachtet. Dabei ist es mehr ein Art Wunderglaube. Glaube ist eine geistige Haltung, keine Projektion. Glaube hat eine kontrafaktische Qualität, kann darum Berge versetzen. Worauf Du Dein Herz hängest und verlässest, das ist eigentlich Dein Gott (Luther).

Die Anthropomorphismus-Hypothese geht davon aus, dass Kinder Gott anfänglich als grossen Supermenschen im Himmel betrachten, und erst später die Vorstellung eines transzendenten, körperlosen Wesens entwickeln. Demgegenüber besagt die Preparedness-Hypothese, dass Kinder derartige metaphysische Eigenschaften problemlos akzeptieren. Glaubenskrieg in der kognitiven Neurowissenschaft. Für mich war der liebe Gott jemand, den ich zwar nicht kannte, der aber bei uns wohnte und zur Familie gehörte. Und wenn Grossvater zu Besuch kam, so nahm er dessen Gestalt an. „Ich konnte bis ins hohe Alter noch ein Chummerzhilf sein.” Memoiren Adolf Ryser.

Die mittelalterlichen Theologen wiesen darauf hin, dass alle anthropomorphen Beschreibungen Gottes in der Bibel nicht wörtlich zu verstehen seien. Aber personale Eigenschaften Gottes sind christliches Dogma, schon wegen Jesus. Da wird gebetet und gebeichtet, bestraft und belohnt, wie es in Beziehungen nun mal vorkommt. Ich kann mir Gott nicht als Personenhaft vorstellen. Das hat so was Kumpelhaftes, wenn nicht Inzestuöses.

Da allein die Seele eine Zukunft über den Tod hinaus hat, kommt es nur auf ihre Förderung und ihr Wohlergehen an. Wegen ihrer Gottähnlichkeit als unsterbliches Wesen steht es ihr zu, über den vergänglichen Körper zu herrschen, meinte Plato im Phaidon. Jede selbständige Bewegung ist Beweis für Beseeltheit. Aber Plato nannte die Seele psyché. Und nachdem man bis zur Aufklärung keine organische Entsprechung der Seele finden konnte, wurde das Wort Seele aus den rationalistischen, empiristischen, positivistischen und materialistischen Weltsichten ausgegrenzt. Das Zeitalter der Psychologie bahnte sich an, sie hat die Seele in Sektoren zerlegt, wie das kriegsversehrte Deutschland. Die Seele hat sich in die germanischen Ursprungsgewässer zurückgezogen und lebt unter anderen Namen weiter. In der parareligiösen Esoterik heisst die Seele manchmal Selbst. Das Leib-Seele-Problem hat sich verselbständigt als philosophisches Trainingsgelände. Darüber gibt es Abhandlungen aus einem Dutzend verschiedener Perspektiven, Positionen und Oppositionen. Geist ist ein physikalischer Zustand = Körper ist ein geistiger Zustand. Zwei Aspekte derselben fundamentalen Realität, die an Wahrheit grenzt. Mentale Zustände verursachen physikalische Zustände, und umgekehrt. Dem Zustand steht das zu.

Während der Französischen Revolution beschloss die Munizipalität von Vienne am 13. November 1792 die Aufhebung der Kirche. Das entsakralisierte öffentliche Bauwerk diente danach dem städtischen Jakobinerclub als “Tempel der Vernunft” (temple de la raison). Die Fassade trug jetzt die neue Inschrift Société populaire und im Gebäudeinneren ersetzte ein autel de la patrie den Altar der christlichen Kirche. Eine Abschrift der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 wurde im Gebäude aufgehängt, und neue Wandgemälde stellten die Figuren der Liberté und der Justice dar. Wenn Gott Richter wäre, würde er mit restaurativem Justizvollzug Versöhnung anstreben. Der Verkehrskreisel ersetzt eine Kreuzung und die Kreuzigung. Weichspülerreligionen. Zeitgeistige Kosmos-Spiritualität. Der Herrgottschnitzer aus Oberammergau. One Love.