Dahin gehe ich

Wenn man sich der göttlichen Liebe nicht widersetzt, kann man kein Sünder sein. Ich habe das christliche Sakrament der Taufe empfangen, baptizatus sum, also werde ich im zugehörigen Himmel erwartet. Meine Seele wird Ganzteil der ewigen Glückseligkeit, an der ich jetzt nur Anteil habe, ein Seelementarteilchen. 

Der reformierte Heidelberger Katechismus versteht den alttestamentarischen Sündenfall als Ungehorsam und lehrt, dass der Mensch von Natur geneigt sei, Gott und seine Nächsten zu hassen. Mir geht das nicht so. Kenne auch niemanden dieses Schlages. Hat dieses Menschenbild mit dem Stachel der Theodizee zu tun? Christliche Philosophie versteht den Sündenfalls als Metapher. Gott hat sein Verbot ergänzt mit der Information über den Tod, welcher der Übertretung folge: Er hat dem Menschen die Möglichkeit eröffnet, die ewige Existenz im Paradies einzutauschen gegen Erkenntnis und Sterblichkeit. Tanach-Manga.

Mag sein, dass auch bei uns einige ins eigene Jenseits gehen. Nietzsche erlebte eine kurze Erleuchtung, verschwand dann in der Umnachtung: Wer nichts erwartet, wird vom Nichts erwartet. Himmel und Hölle sind Glaubenswirklichkeiten aller christlichen Konfessionen, weil sie Jesusworte sind und in den Evangelien bezeugt. Biblisch weniger sicher ist das Fegefeuer. Die christliche Eschatologie zählt das jüngste Gericht zu den vier letzten Dingen, so dass die Logik ein Weiteres fordert, die Läuterung im himmlischen Vorraum, wo man Gott spürt, sich aber seiner Liebe unwürdig fühlt. Der lateinische Kirchenschriftsteller Tertullian dachte noch an ein refrigerium interim, einen Erfrischungsraum, wo die Gläubigen auf das Gericht warten. Papst Gregor der Grosse, ein Heiliger, der eigentlich das Recht auf sofortige Vereinigung mit Gott hatte, aber fast siebenhundert Jahre auf seine Heiligsprechung warten musste, konzipierte dann eine individuelle richterliche Vorinstanz und das Läuterungsfeuer, das später kanonisierte Purgatorium. Sixtus VI. autorisierte den kirchlichen Verkauf von Urkunden zur Verkürzung der Feuerqualen oder auch zur vorzeitigen Entlassung aus dem Fegefeuer für Arme Seelen, die schon dort büssten. Die Ablassbriefe waren vorgedruckte Formulare, bei denen nur Name, Zahl der erlassenen Feuertage und der Preis eingefügt werden mussten. Der Handel florierte vor allem im nördlichen Europa, wo dann bald die Reformatoren nicht nur das Bombengeschäft versauten, sondern gleich das Fegefeuer zur Hölle schickten. Geblieben ist vorerst der Limbus als Ort derjenigen, denen die Gottesschau verwehrt ist: Früher bewohnt von ungetauften Kindern, heute von ahnungslosen Agnostikern bevölkert.

In der Wissenschaftstheorie gilt, dass Erkenntnis immer auf Voraussetzungen beruht, die nur im Modus subjektiver Wahrheitsgewissheit zugänglich sind. Dies entspricht der theologischen Erkenntnis, dass Gottes objektive Offenbarung nur durch subjektive Glaubensgewissheit zugänglich ist. Glaube ist unbedingtes Vertrauen, auch in das Gegenüber. Eine suchende Bewegung von sich weg. 

Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf. Tautologische oder kontradiktorische Sätze sind sinnlos. Echte Wittgenstein-Anhänger lehren, dass die Unterscheidung von sinnvoll und sinnlos selbst unsinnig ist. Folgt: Er muoz gelîchesame die leiter abewerfen, sô er an ir ufgestigen. Kontradiktorische Widersprüche zeigen zwar die altlogischen Grenzen unserer vernünftigen Erkenntnis, müssen aber nicht in ein wissenschaftliches Schweigen münden, wie das auch einige Theologen bejahen, sondern können als Offenbarung des heiligen Geistes verstanden werden: Wie die Weisheit Gottes die Torheit des Kreuzes einschliesst. Da kriege ich Kopfweh.

Christliche Theologie bezieht sich auf ein kontingentes geschichtliches Ereignis, das nicht aus einer Idee abgeleitet werden kann. Das ist Dogma. Materialistisches Fundament des ausschweifenden Geistes. Christliche Konfession beinhaltet die Verkündigung durch alle, was zur Staatsförmigkeit der Kirche und zur Kolonialmission führt. Christliches Ausrichten auf Gott geschieht exemplarisch im Gottesdienst und Lesen der Bibel. Für den Glauben als Lebensgestalt ist das Gebet charakteristisch, liturgisch in der Gemeinschaft oder persönlich als Klage, Bitte, Fürbitte, des Dankes und Lobes. Wir können Gott durch Meditation nur begegnen, wenn die Meditation von Gottes Wirklichkeit in Dienst genommen wird. Zu den Elementen, in denen die Lebensbewegung des Glaubens zum Ausdruck kommt, gehört ferner die gedankliche Durchdringung des christlichen Glaubens. Zustimmung zum letzten Satz, kopfliche Entspannung.

Glaube funktioniert, und zwar als paradoxer selbstreflexiver Zirkelschluss: Kein Seelenvermögen wie Gefühl, Wille oder Vernunft kann der anthropologische Ort des Glaubens sein; das kann nur deren Dreiheit und gegenseitige Durchdringung und zirkuläre Einheit sein. Die Seele in ihrem Gesamtvermögen, dem Lebensprinzip, der prinzipiellen Unsterblichkeit. Der Mensch ist selbsterkennendes Ebenbild Gottes, dank dem sinnlichen Genuss dessen Frucht vom Baum der Erkenntnis. 

Christliches Dogma umfasst die jüdische Erbsünde und macht daraus die Epochengeschichte vor Christus, die gefallene Welt vor unserer Zeitrechnung. Der Messias des alten Testamentes ist der Erlöser der Welt und bescherte uns die andauende Epoche der Versöhnung sowie eine Neuzählung der Jahre. Jesus ist die Selbstoffenbarung und Selbsterschliessung Gottes. Er ist eine historische Person und sowohl ganz Mensch wie ganz Gott. Den Beweis lieferte die Auferstehung und die Himmelfahrt, nur wenigen Augenzeugen erschlossen. Solus Christus wird dann zur sola scriptura, der Kanon der Schriftzeugen. Die Bibelexegese wird verfeinert zum vierfachen Textsinn: Der historisch-kritische Literalsinn, darunter die Allegorie (was glauben?), die Moral (was tun?) und die eschatologische Anagogie (worauf hoffen?). Die Historia ist auch dem Laien zugänglich, der Gebildete entschleiert die Allegorie, der Erhabene erkennt die Moral und der Weise erfasst den letzten Sinn. Johannes lehrt: Jesus wird das Buch mit den sieben Siegeln öffnen: Die Apokalypse:::

Unsere kontextuelle Lebenswelt wird ausdifferenziert und komplex. Das dadurch geweckte Bedürfnis nach Vereinfachung und Rückbindung (religio) führt zu religiöser Individualisierung und nichtkirchlicher Gemeinschaftlichkeit. Der Gekreuzigte passt nicht mehr zur Gotteserfahrung oder steht ihr gar im Weg. Wenn Glaube keine Illusion sein soll, muss die Gott- und Welterkenntnis als Konstituierung einer neuen Wirklichkeit gedacht werden. Erkenntnis bedeutet immer auch erkennen des Möglichen, schafft also produktiv neue Möglichkeiten. Natürlich geht diese christliche Modallogik auf Aristoteles zurück. Jesus ist als inkarnierter Logos mit Gott wesenseins. Jesus war Wanderprediger und Wundertäter, der das nahende Gottesreich verkündete. Jesus hat seinen Tod nicht gewollt, aber als notwendig und notwendend hingenommen. Er hat seine Auferstehung nie vorhergesagt. Der Sühnetod des Schuldlosen versöhnt Gott und die Menschen, verkünden die Evangelisten. Als Gottes Sohn wurde Jesus erst nach dem Osterwunder benannt. Maria ist Jesu leibliche Mutte; die Jungfrauengeburt, die ewige Jungfrauschaft und die Himmelfahrt Mariae kommen erst später dazu, trotz leiblichen Geschwistern. Der Einbezug der heiligen Jungfrau Maria in die Gotteslehre banalisiert die dynamische Trinität zur Quaternität, lebloses Ausgewogenheitsgegender. Die Inkarnation steht felsenfest, die Auferstehung aber wird im Korinther als somatopneumatisch beschrieben, als geisthafte Leiblichkeit. Bibel-Manga.

Aus der daseinskonstituierenden Beziehung Gottes zu allem welthaft Seienden folgt in der christlichen Theologie das Personhafte Gottes, der selbst aus drei Personen besteht. Die Dreihaftigkeit der Trias in der speziellen Metaphysik – Gott, Welt, Mensch – wird christlich überboten durch die göttliche Trinität. Und Gott ist Liebe. Diese Erkenntnis erschliesst sich Christen aus der Person und dem Werk von Jesus. Liebe ist frei und lässt frei. Sie kann nur von innen erkannt werden, aus ihrem geschehen. Im neuen Testament ist Liebe immer Agape, nie Eros. Ein leidenschaftliches Brennen schon, da berühren sich Himmel und Erde. Die Liebevolle Zeugung und Empfängnis eines Kindes wurde immer schon als nächstliegende Analogie zum Schöpferwirken Gottes empfunden und bezeichnet. In den synoptischen Evangelien findet sich keine Liebe Gottes als genitivus subjektivus; Der liebe Gott ist eine niedliche und harmlose Beschwörungsformel von Theophilos Amadeus Gottlieb. Der personhafte Gott ist der Grund alles Personhaften und trägt in sich die ontologische Macht des Personhaften. Das Reden von Gott ist eine transzendentale und potenzierte Metapher. Ein weiblicher Gott als Ursprung des Lebens wäre zu menschenhaft. Die christliche Metapher Gott Vater wirkt der Gleichsetzungs- und Verwechslungsgefahr entgegen, schafft Distanz. 

Gott handelt nicht, er wirkt. Die relationsontologische Theologie spiegelt sich in der theoretischen Physik: Relationen und Ereignisse statt Substanzen. Gebete in Form von Jammer, Klage und selbst Anklage sind weiterhin erlaubt. Es gibt nur gute Engel als Boten Gottes, Dämonen und Teufel sind nicht von Gott gewollt, sondern nur zugelassene Wirkweisen des Bösen. (Kopfbrummen) Die christlichen Attribute Gottes unterteilen sich in formale Kategorien wie Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart und in personale Qualitäten wie Güte, Weisheit, Liebe. Geschaffen sein heisst Bejaht- und Gewolltsein. Schon Boethius und Augustinus haben Zeit als gewährte Möglichkeit und Dauer erfahren. In der Liebe ist Transzendenz und Anteilhabe an der Ewigkeit erlebbar. Giordano Bruno wurde als Pantheist verbrannt, in der protestantischen Dogmatik wird anerkannt, dass der Geist Gottes in Allem wahrgenommen werden könne. Zwyngli liess Manz ersäufen, weil er dem katholischen Priester und Glaubenstäufer Grebel nicht abschwören wollte. Gott ist heilig, im hymnischen Trishagion gefeiert: Orthodoxie. Das Theodizee-Problem ist christlich gelöst durch die Charakterisierung von Gottes Wirklichkeit als Ereignis, als Beziehung, und als Verborgenes. Verborgen unter dem Gegenteil: Kreuz und Tod. (Wieder Kopfweh!) Das Problem hatte der vorchristliche Epikur formuliert und damit den Widerspruch zwischen der Allmacht, der Allwissenheit und Güte Gottes nach klassischer Logik kritisiert. Leibniz hat das Problem dank Modallogik gelöst: Wir leben in der besten aller möglichen Welten. Die Unschuld Gottes am Bösen wegen seiner Nichtexistenz kann man als Atheismus ad maiorem Dei gloriam verstehen und reiht sich in an die dogmatischen Paradoxa. 

Aus der Kontingenz des Welthaften folgert das notwendige Sein Gottes, so Leibniz. Religion ist Kontingenzbewältigung, folgert daraus Lübbe, Theologie ein philosophisches Fach. Die jüdische Genesis setz sich gegen die griechische Kosmologie durch, der Schöpfung aus dem nichts steht nun die annihilatio gegenüber, die Auflösung in nichts. Aber auch wenn dereinst wieder nichts ist, die Wirklichkeit Gottes bleibt. Daraus folgt die Apokatastasis panton, die Allerlösung, das Versprechen der Teilhabe aller Menschen am ewigen Leben. Ganztod ist ohne Auferstehung undenkbar. Die auferstandenen Leiber sind ohne Organe, präzisiert Paulus. Glaube ist Einübung des sterbens, sterben ist Ratifizierung des Glaubens, so Karl Barth. Kant glaubte an Gott als höchsten Urheber, lehnte aber Gottesbeweise prinzipiell ab, das sei eine arrogante Anmassung. Geist ist sowohl Information als auch Energie. Der heilige Geist ist sowohl Gabe wie Geber. Die Wirklichkeit ist Gottes Dienstbotschaft.

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