Der Sohn der Maria Stuart, James I, war ziemlich selbstbewusst. Mit grosser Selbstverständlichkeit hat er seine Königreiche politisch erfolgreich zu Grossbritannien proklamiert und den Union Jack als Logo erfunden (schottisches Andreaskreuz und englisches Georgskreuz überlagert). Den Trennstrich des amerikanischen Bürgerkrieges hat er vorgezeichnet, indem er auf dem neuen Kontinent zwei konkurrierende Aktiengesellschaften mandatierte. Die Bibel liess er auf englisch übersetzen. Das Parlament löste er auf, als die Abgeordneten ihm in seine Pläne für die Verheiratung seines Sohnes reinreden wollten. Dieser James liess es sich nicht entgehen, als an der Universität von Camebridge eine Gelehrtendebatte über die Frage, ob Hunde Schlüsse ziehen können, abgehalten wurde, diesem philosophischem Sportskampf beizuwohnen. Der Streit hatte sich einmal mehr an Aristoteles entzündet, der die Intelligenz der Hunde analysiert hatte. Ausgegangen waren die antiken Denkprofis von der Beobachtung, dass ein Hund auf einer Witterungsfährte bei einer dreigabligen Wegscheidung nach zwei erfolglosen Schnüffelversuchen den dritten Weg losstürmt, ohne sich mit der Nase vergewissert zu haben, dass hier die zielführende Riechspur aufgenommen werden kann.
Wieviel Vernunft soll man dem Hund zubilligen? Die Scholastiker hatten einen fünfstufigen Syllogismus im Hund entdeckt, eine gehörige Portion logischer Vernunft. Sie seien Verächter der echten Wahrheitsliebe, wenn sie nicht einsehen könnten, dass der Hund ohne Vermittlung einer rationalen Logik zum richtigen Ergebnis kommen könne, hielten dem die konservativen Antidialektiker entgegen. Die göttliche Wahrheit sei, das der Hund unmittelbar so handle.
James soll sich blendend unterhalten gefühlt haben. Er schlug sich auf die Hundeseite: Instinktive Intelligenz.
Bewiesen ist heute, dass Hunde ihre Intelligenz dem Menschen zuliebe ausschalten können. Ihnen ist wichtiger, dem Menschen zu gefallen und dessen nicht nachvollziehbare Erwartung zu erfüllen, als ihre logischen Fähigkeiten und objektiven Kenntnisse zu berücksichtigen. Hunde suchen beim Menschen soziale Wertschätzung. Sie geben auf Kommando die Pfote, aber wenn nur der Hundenachbar belohnt wird, wird gestreikt. Ein Stück Brot oder eine Karotte ist auch okay, selbst wenn der andere Wurst kriegt. Missachtung aber geht nicht. Das ist ungerecht!
Umgekehrt scheint das Gerechtigkeitsempfinden weniger ausgeprägt: Wer Wurst deponiert und seinem Hund einschärft, diese nicht anzurühren, dem gehorcht er so lange, wie er beobachtet wird. Verlässt der Hundeführer kurz den Raum, ist die Wurst weg, wenn er zurückkehrt. Die soziale Intelligenz des Hundes kennt kein Schuldbewusstsein. Allerdings akzeptiert die Wissenschaft ein negatives Ergebnis nich als positiven Beleg für die Nicht-Existenz. Affirmative Aussagen können generell nicht verifiziert, nur allenfalls falsifiziert werden. Hunde sind sich der Grenzüberschreitung sehr wohl bewusst und sie können auch schuldbewusstes Verhalten zeigen, aber beim fressen ist das eben Wurst.
Wölfe können am Bildschirm Flächen mit mehr oder weniger Punkten unterscheiden, Hunde nicht. Der Mensch kann bis etwa sieben Objekte deren Menge erfassen, ohne zählen, auf einen Blick. Hunde denken und leben in Hierarchien. Wölfe fressen gemeinsam, Hunde warten, bis das Leittier sattgefressen ist. Es liegt nahe, den Ursprung des im Vergleich zu Wölfen höheren Respektes der Hunde vor der Dominanz des Ranghöheren im Zusammenleben mit dem Menschen zu vermuten. Hierarchie-Junkies nennt sie der Wiener Hundepapst Kotrschal. Leben mehrere Hunde in einem Haushalt, ist der älteste der Chef, lernt am besten, folgt am liebsten und ist am aggressivsten. Die anderen Hunde sind in einem Beziehungsdilemma zwischen Herr und Chefhund. Wenn der Wolf begriffen hat, dass nach dem Trockenfutter Frischfleisch folgt, rührt er die Guetzli nicht an, wenn der Hauptgang spätestens nach einer Minute gereicht wird.
Niculina, am See der Seelen: Hör zu, Ladina, ich werde nicht wieder heimkommen. Die Nona ist lächelnd ins Wasser des Lebens gestiegen. Und mir gefällt es in der Innerwelt. Ich bin ein Wolf.
Die ersten Hunde tauchten vor etwa 35’000 Jahren gleichzeitig mit Camps von Mammutjägern auf. Menschen und Wölfe ernährten sich fast ausschliesslich von Mammutfleisch, Hunde jedoch nicht. Wolf und Mensch in Jagdgemeinschaft und gesellschaftlicher Verwandtschaft, beide im Familienrudel. Der Wolf akzeptiert den Menschen als seinesgleichen nur, wenn das junge Welpen, die Augen noch zu, an der Brust genährt wird wie Menschenbabys. Unklar ist, ob der Mensch bereits in Afrika oder erst im Nahen Osten Wolfskontakt aufnahm. Klar ist, dass die Vorläufer der allgegenwärtigen Dorfhunde in Ostasien lebten, mit den ersten sesshaften Menschen, die sich um Heiligtümer herum niedergelassen hatten. Acker- und Gartenbau betrieben wurde, um alkoholische Getränke herzustellen, die ideale Begleitung zu Fleisch. Vor etwa 150 Jahren begann in England die Hundezüchterei so richtig, James hätte seine Freude. Gelegentlich besteigt ein Hunderüden ein Wolfsweibchen, seltener sind Hybriden mit Wolfsvater. Das schwarze Fell der Timberwölfe geht auf ein Hundegen zurück. High-End-Hybriden kommen gerade in Mode. Die Gehirne von Hunden sind, wie bei allen domestizierten Tieren, kleiner als die der Wildform. Mit der Sesshaftigkeit hat sich der Mensch selbst domestiziert; auch sein Hirn schwindet seither. Die Menschenhaut wird wegen diesem Haustiergen irgendwann gepunktet.
Am Parthenonfries, vor gut zweihundert Jahren vom britischen Botschafter von Athen nach London verfrachtet, sieht man Molosserhunde, wie sie Perser zerfleischen. Der deutsche Schäferhund ist genetisch ein Molosser. Rüden, die mit Menschenfrauen leben, sind gegenüber fremden Menschen abweisend, sie wollen ihr Menschenweibchen ganz für sich. Rüden bei Männern überlassen das Regeln der Aussenbeziehungen ihrem Herr. LGBT*-Hunde sind aber vorauszusehen. Durch die Domestikation hat der Hund die Dominanz des Menschen verinnerlicht, kann auch in Gewaltherrschaft leben und funktionieren. Er geht freiwillig auf den Abrichteplatz wie ein dummes Kalb zum Metzger. Werwolf-Mythen machten den deutschen Schäferhund zum Nazi. Moderne Hundepädagogik frönt einem kooperativen Führungsstil mit positiver Motivierung. Die Führung wird zu emotionaler Unterstützung. Das braucht der Hund, der ist ein Leben lang kindisch. Wenn der Auserwählte nicht mitkommen will, nimmt man einfach ein Williges aus dem Rudel, was der nun Aussengelassene einfach nicht ertragen kann. Ausser er ist etwa einjährig, also pubertär verstockt. Prinzipiell sollten Situationen immer positiv für beide Seiten abgeschlossen werden, auch um eine Kultur des gemeinsamen Scheiterns einzuführen: paradoxe Pädagogik. In Wirklichkeit ist die Wirklichkeit nicht wirklich wirklich, wir bauen uns unseren Hund. Was unsere Sinne wahr nehmen, ist Reduktion, aufgefrischt mit mentalen Repräsentationen und emotional eingebettet. Immerhin werden unsere mentalen Repräsentationen vom Hund als Kategorie und von Millie als Individuum im Zusammensein etwa fünfmal pro Sekunde nachjustiert (im Stirnhirn, ist gut messbar). Glücks- und Stress-Hormonausschüttungsmechanismen sind bei Hund und Mensch identisch und können symmetrisch ablaufen, eine Liebesbeziehung. Plato sprach Diogenes Verstand ab, weil er im Tisch seine Tischheit nicht erkennen könne; Diogenes warf dem Akademiker vor, den Menschen als gerupftes Huhn zu sehen. Die Diogenes-Statue in seiner Heimatstadt, dem türkischen Sinope, zeigt den Aktionsphilosophen in Begleitung eines Dorfhundes. Diogenes lernte im Gymnasion von Antisthenes, ein Sokratesschüler, im ehemaligen Heiligtum des Herakles Kynosarges, seit je her Brutstatt des Kynismus. Am Lykeum des Aristoteles wurde das Denken des besitzlosen, ortsungebundenen Veganers, des Priesters der Unabhängigkeit, der sich in Syllogismen über die Schlussfolgerungslehre der Logik lustig machte und seine Positionen mit eleganten Zirkelschlüssen unter die Sonne stellte, weniger als Philosophie, mehr als Lebensstil verstanden. Erst Foucault und Sloterdijk setzten sich für eine Rehabilitation ein, der Linksnietzscheaner Michel Onfray für die Nobilitation: Ich, der Dorfhund.