Philosophische Tröstung oder mysthische Offenbarung: Des unaufzehrbaren Reichtumes gewahr werden, der in seiner Einbeschlossenheit in jene grössere und wirklichere Wirklichkeit besteht. Aber wenn Du an der Himmelspforte das Formular ausfüllen musst, stehe Dir Aristoteles bei:
Existiert Gott?
Ja (Kästchen)
Nein (Kästchen),
Kann man nicht wissen (Kästchen)
Du musst Dein Kreuz setzen.
Wer erhält Einlass, fragst Du dich. Wer nein sagt, wird anderswo suchen. Wer es nicht weiss, bleibt im Ungewissen. Wer ja sagt, geht rein ins Gewisse. Aber trotzdem. Dein eigenes Kreuz setzen? Sag doch, Du wartest auf einen Freund, einen standhaften Agnostiker. Unfehlbar ist nur der Papst, Du willst das alles nochmals diskutieren.
Der Papa buono, Johannes.23 aus Bergamo, hat den Fusskuss und die drei Verneigungen bei der päpstlichen Privataudienz abgeschafft. Sein nur fünf Jahre älterer Vorgänger Pius.12 feierte am 5. Oktober 1958 seine letzte Heilige Messe und sprach im Anschluss daran die päpstlichen Abschiedsworte „Adesso non posso più“. Er hatte einige Jahre zuvor die päpstliche Unfehlbarkeit genutzt und die leibliche Himmelfahrt Mariä als Dogma verkündet, obwohl diese Idee keine biblische Grundlage hat und die älteste Quelle im 6. Jahrhundert datiert (Faktenstempel). Pius erlitt am Tag nach seiner unfehlbaren assertiven Illokution, dem Adhortativ, einen Schlaganfall und war dann rasch weg, Formular ausfüllen. Früher hatte er nur Magenprobleme und monatelangen Schluckauf gehabt. Aber er hatte sich durch seine Neutralität in politischen Dingen übernommen. Raushalten aus aller Politik war sein Motto während dem Krieg. Die Judenfrage war Politik, da wollte man sich auch raushalten. Aber er war der erste, der auch Kardinäle aus den Kolonien ernannte, vorher war gerade mal einer Nichteuropäer, aus New York.
Der Bergamasker eröffnete am 11. Oktober 1962 das zweite vatikanische Konzil, das er schon kurz nach Amtsantritt angekündigt hatte. Seitdem ist dies der Gedenktag des Konzilpapstes. Johannes begrüsste die Aktivitäten der UNO und anerkannte die Menschenrechtserklärung. In der Kubakrise schrieb er an Kennedy und Chruschtschov, sie sollten sich beruhigen. Auch dieser illokutive Akt zeigte faktische Wirkung. Chruschtschow überliess die Atomraketen doch nicht dem zu heissblütigen Castro, Kennedy zog die Atomraketen aus der warmen Türkei und Italien ab. Die katholische Weltkriche diskutierte derweil in der Peterskirche, hunderte Konzilsväter nutzten ihre acht Minuten Redezeit zu Plädoyers und Verteidigungsangriffen, alles in ganz unterschiedlich dialektgefärbtem Latein. Ein Parlamentsbetrieb mit Cafeteria und Lobby. Es herrschte ein Geist, der die Grenzen eines verengten lateinischen Horizontes sprengte und dazu zwang, nicht lateinisch, sondern katholisch zu denken, wie Ratzinger später analysierte. Gleichzeitig konnte das Trauma der französischen Revolution durch den Blick auf die angelsächsischen Kirchen überwunden werden.
Das Konzil begann mit einer großen Prozession, aberhunderte Konzilsväter zogen in den Petersdom im Vatikan ein. Der Papst trug nicht seine Tiara als Zeichen der Macht, sondern eine bischöfliche Mitra. Auch nutzte er den Tragesessel nur auf dem Petersplatz, um besser gesehen werden zu können. In der Peterskirche liess er anhalten und ging den Rest zu Fuss, obwohl er kurz vor seinem 81. Geburtstag stand. Bischöfe aus 133 Ländern waren anwesend. Der Papst hatte seine Freude und strahlte. Die Schweizer Zeitung Blick vermeldete dann seinen Tod bereits am 1. Juni 1963, zwei Tage zu früh, bei Krebs kann das ja alles plötzlich schnell gehen.
Hans Küng und Joseph Ratzinger waren die Teenager-Theologen am Konzil. Da war auch Hélder Câmara, der brasilianische Befreiungstheologe mit seinen kirchlichen Basisgemeinden, Marcel Lefebvre und der Karol Wojtyla aus Krakau, der spätere Johannes Paul.2. Am 1. Mai 2011 sprach sein Nachfolger Papst Benedikt.16, das ist der Ratzinger, bei einem Pontifikalamt auf dem Petersplatz den Wojtyła selig und nahm ihn in das Verzeichnis der Heiligen und Seligen auf. Nach dem Seligsprechungsritus brachten zwei Ordensschwestern, eine davon Marie Simon-Pierre, deren Heilung von der Parkinson-Krankheit während dem Seligsprechungsprozess als Wunder auf die Fürsprache des Seligen anerkannt worden war, ein Reliquiar mit einer Ampulle, die etwas Blut von Johannes Paul.2 enthält, zum Altar. Franziskus sprach dann Johannes.23 heilig. Sukzessionsreligion eben. Über Hans Küng war im Vatikan schon 1957 eine Akte angelegt worden, mit neunzig Jahren schreibt er immer noch gegen das Unfehlbarkeitsdogma an, obwohl das Konzil damals auch der Gesamtheit der Gläubigen Unfehlbarkeit zugesprochen und er ein fakultätsunabhängiges theologisches Institut samt Professur erhalten hatte. Lefebvre weigerte sich, die Reformen anzuerkennen und berief sich auf die Unfehlbarkeit der Vorgängerpäste, gründete die Piusbruderschaft, wurde exkommuniziert, flüchtete ins Wallis. Der Bündner Bischof Huonder, der hatte es mit dem Ratzinger, ging auf die Altenbank im Pius-Knabeninstitut im Sarganserland.
Der frischgekürte Paul.6 hatte anfangs etwas Mühe mit dem Konzil; er legte eine Passionspredigt vor, in dem die alte Judenbeschuldigung durchschimmerte. Josef Frings, Erzbischof in Köln, der schon 1942 bei seiner Wahl die Judenverfolgung öffentlich als himmelschreiendes Unrecht bezeichnet hatte, hielt seine historische Protestrede. Achille Liénart, Erzbischof von Lille, doppelte nach. Sie akzeptierten auch die vorgedruckten Wahllisten nicht und wandten sich gegen das Heilige Offizium und seinen Sekretär, Kardinal Ottaviani. Der hatte bisher nach Aktenlage, ohne Verfahrensgarantie und ohne Begründung entschieden. Paul.6 hat eingelenkt und nun heisst es unter den Dokumenten „Paulus episcopus servus servorum Dei una cum Concilii Patribus“. Der Papst führte dann das Vat2 erfolgreich zu Ende. Er war der erste, der die römische Ziffer mit dem Ordinalpunkt selbst hinter seinen angenommenen Namen setzte.
Die Liturgiereform nach über vierhundert Jahren war umfassend. Das Stundengebet klösterlichen Ursprungs passte nun in die Hosentasche der Arbeiter und Angestellten. Der Priester zelebriert nicht mehr alleine vor dem Hochaltar, gegen Osten und den Rücken zur Gemeinde. Missa cum populo, nicht mehr missa solitaria. Der Gottesdienst und die nun zahlreicheren Lesungen, auch aus dem alten Testament, erfolgen in der Landessprache. Man betet nun auch für die, die nicht an Christus glauben, und auch für die, die nicht an Gott glauben. Und nun betet man auch für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat. Nun werden die Mitfeiernden gegrüsst mit “der Herr sei mit Euch” sowie mit einem Schlussegen bedacht “er segne euch”. Amen wird von der ganzen Gemeinde gesprochen, es ist die Akklamation des Gesagten. Nach dem liturgischen Ausspruch “der Friede des Herrns sei allzeit mit euch” lädt der Priester die Gemeinde zum persönlichen Friedensgruss: Die Gemeindemitglieder sagen sich gegenseitig “Der Friede sei mit Dir”. Die katholische Reformation ist mit der Liturgiereform durch. Das Individuum wird erneut ausgewildert, es folgten die antiautoritären Kommunen, Basisdemokratie und Vollversammlung; andere Zusammenrottungen.
Der Liturgiebewegung schwebten ursprünglich charismatisch geführte Gemeinschaften vor. Ildefons Herwegen, Mönch und deutscher Wortführer der Reformer, meinte: Das Individuum, durch Renaissance und Liberalismus grossgezogen, hat sich wirklich ausgelebt. Es sieht ein, dass es nur im Anschluss an eine ganz objektive Institution zur Persönlichkeit reifen kann. Es verlangt nach der Gemeinschaft. Was auf religiösem Gebiet die Liturgische Bewegung ist, ist auf dem politischen Gebiet der Faschismus. So die Hinwendung zum Volk. In Billard um halbzehn beschreibt Böll diese Figur, die später Adenauer gegen die Nazis beistand. Pius.10 verbot 1903 den Einsatz von Kastraten in der Kirchenmusik. Der Vatikan ist die letzte absolute Monarchie im Abendland. Urteile werden im Namen des Papstes gefällt. Die Todesstrafe wurde 1969 formell abgeschafft. Das vatikanische Gefängnis hat noch zwei Plätze, in die man whistleblower steckt.
Der französische Fideist L.G. de Bonald trat mit dem Satz, dass an die Stelle der Autorität der Evidenz die Evidenz der Autorität zu treten habe, gegen die säkulare Beschneidung der Kirche an. Nachdem der Wiener Kongress nach den napoleonischen Verheerungen den Kirchenstaat wieder aufrichtete, griffen die Republikaner 1848 erneut an, Papst Pius.9 musste verkleidet fliehen. 1861 wurde das Königreich Italien gegründet und die Marken, Umbrien und die Romagna säkularisiert. Vittorio Emmanuele II langte während dem Konzil nochmals zu: Latium und Rom wurden italienisch durch militärische Besetzung. Der Papstmonarch herrschte nur noch über den Vatikan. Erst mit Mussolinis Lateranverträgen erhielt die Kirche wieder staatspolitische Souveränität. So heisst das Konzil, das Pius.9 einberief, um seine Unfehlbarkeit festzuschreiben, vaticanum I. Auf dem Petersplatz erteilte er den Segen im drive-in-style: Alles mit Fiakern und Kutschen zugestellt. Der Erzbischof von München schwörte dem Papst, für die dogmatische Verschriftlichung der päpstlichen Unfehlbarkeit zu kämpfen, nötigenfalls sein Leben dafür zu lassen. Der Kurienkardinal hatte sich der höheren Leitung unterstellt. Louise Beck, ein spiritistisches Medium, kam in Kontakt mit der jung verstorbenen Ehefrau des Redemptoristenprovinzials, der Louise vorgängig einige Dämonen ausgetrieben hatte, weil sie an Mondsucht und Nervenfieber litt. Die Verstorbene konnte direkt mit der heiligen Mutter kommunizieren und Anfragen an diese beantworten lassen. Wer am “Geheimnis im Geheimnis” teilhatte und mit Louise sexuelle Riten zelebrierte, stammte meist aus Bayerns Klöster. In Rom war sie nie.
Die Gegner des Unfehlbarkeitsdogmas, etwa 20%, setzen sich über das Konzilsgeheimnis hinweg, umgingen die Postzensur und publizierten in der deutschen und französischen Presse. In der Schlussabstimmung gab es nur noch zwei Stimmen gegen das Jurisdiktionsprimat und die Unfehlbarkeit des Papstes, die anderen waren abgereist. Römisch-katholische Christen, welche das neue Dogma ablehnten, wurden exkommuniziert. In den Niederlanden gründeten sie die Altkatholische Kirche, in der Schweiz die christkatholische.
Pius.9 wurde zwar von Wojtyla, dem Sukzessor mit dem zweitlängsten Pontifikat, selig gesprochen, aber im Heiligsprechungsprozess kam zu viel zum Vorschein. Er hatte befohlen, Zündhölzer zu konfiszieren, weil sie als fiammiferi infallibili angepriesen wurden. Einem Bischof, der ihm protokollgemäss den Fuss küsste, setzte er seinen Schuh gleich auf den Kopf, wie eine antike Siegermacht dem Unterworfenen. Pius.9 war Epileptiker, jähzornig und ekstatisch. Er hatte persönliche Offenbarungen. Als junger Papst verkündete er das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariä – nach seiner Logik durfte auch die Mutter von Maria nichts von der menschlichen Erbsünde abbekommen haben. Mit fast 32 Jahren längstes Pontifikat der Geschichte.