Wer bin ich

Ich binz. 

Das bin ich, ein Es. Ich bin ein Erstes und ein Drittes. Auch ein Fünftes und ein Siebtes, dann das Elfte. Ein Zahlen-Es, ohne die Primzahl 2, eine Nichtdualität. Ein identitäres Haiku. Das einzige was mich hier hält ist, dass es keinen Ausweg gibt. 

Ich bin damit beschäftigt, zu überlegen, was in meinem Hirn vorgeht. Manchmal beschäftigt mich auch die Physis. Ich denke, was gedacht werden muss. Was der Wille als sein Ding objektiviert oder der Geist sich vorknöpft.

Prämisse ungültig. Bisher ereignete sich alles stets woanders. Unsere Ergebnisse untermauern die Annahme, dass das Ich ein reales Phänomen ist. Ich spüre die Abenteuerlichkeit, die in den geistigen Räumen herrscht. Das Ich spielt stets ein wenig Theater und konterkariert damit alle Vorstellungen einer unverrückbaren Identität. Dä Fiirabigkari und dä Schachersepp under em Himmel vo Tsüri. Wenn Wünsche wirken, dann tun sie dies, weil sie selbst als Hirnzustände realisiert sind. Alles ist gut gesichert, aber flüchtig.

Wir unscheinbaren Wesen müssen uns in einer höheren Person aus der Zeit in die Dauer retten. In Jedem ist Jeder und Jedes, in Allem ist Alles. Alles und unwiderruflich, sonst ist es sinnlos. Gesteuert durch das Belohnungszentrum droht mir eine Endlosschlaufe statt der Ewigkeit. Aber ewige Wiederkunft ist ihm zu langweilig. Einer wie Er befindet sich immer zuvorderst, ins Ungewisse gerichtet. Mentales Eigenblutdoping.

Er sagte in seinem Tractatus logico-philosophicus “Ich bin meine Welt”. Des Anderen Mantra “Ich bin nicht Stiller”. Der nachgelassene Geiger, der seinen Vater später König hiess, mit dem Zusatz “im Exil”: Der einzige verbliebene Platz für ein Miteinander, das sich lohnte, war die Welt, wie der Vater sie wahrnahm.” Er glaubte zwar nicht an Gott, aber er lag so da, als hadere er mit Gott. Beim Schreiben sagte er: „Ich habe mich sozusagen verloren“. Schertenleibs Er verspricht ihr, Ihr Ich zu erlösen, wenn es nicht mehr geht. 

Er lebte in natürlicher Sicherheit der Gegenwart und trieb im immersiven Erzählstrom der Ewigkeit. Der Geist ist in der Zeit und weiss, dass in der Zeit sein sich zeitlos anfühlt, blosse kognitionslogische Physiologie. Die Vergangenheit und das Frischgedächtnis beste Freunde. Schuldgefühle und Selbstreflexion nehmen im weiteren Verlauf ab. Die Instinktintelligenz nimmt zu und verfeinert sich.

Das Bettuch fühlt sich nass an, raus hier. Er geht barfuss über den Teppich, ein hässlicher Teppich, Er hat daheim auch einen Blumenteppich, aber in schön. An der Wand viele Bücher, Geschichten noch und noch, alles Mögliche eben. Verwirrendes geträumt. Ein lebendiges Durcheinander, schöpferisch und vergänglich. Heimat ist kein Ort, es ist Erinnerung, Büchertücher.

Er knöpft das Hemd zu. Was hat er da überhaupt an? Ähnelt dem Schlafanzug. Wird doch gut gehen. Er öffnet die Zimmertür. Jetzt hört er Gesang. Von hinter der dritten Türe kommt der her. Er tritt ein: Ein Wohnzimmer. Als sei er schon mal hier gewesen. Der Fernseher singt. Ein Sofa unter einen hellen Decke, als wäre ihm kalt. Leben als. Ist das meine Tracht?

Das Geheimnis der blauen Blume. Abends, wenn die Sonne bereits tief stand, war die Mosterei am schönsten. In der grellen Sonne des Vormittags war das Gebäude militärische Sperrzone, Fabrik, voller eingefangener und dann kasernierter gefleckter Äpfel in gestapelten Harassen. Zogen sich dann aber die ungeheuren Maschinen zurück, wurde der Ort zum Schloss, wo der Apfelsaft bis zum Überfliessen quöllte, randvoll gefüllte Korbflaschen von riesigen Ausmassen, unten ein dünnes und kurzes Stück roter Schlauch, mit einer Metallklammer abgeklemmt, wie man das später an Infusionsgestellen oder Urinsäcken kennen lernt.

Manche Menschen erleben das Schicksal, in der Mitte ihres Lebens gleichsam umzukehren, zurückzukehren. Denken, Fühlen, Verhalten, alles nähert sich langsam wieder dem Ursprung, dem Kind, dann dem Kleinkind, dem Säugling. Eine grossartige Symmetrie des wundersam Banalen, der basalen Biologie, der Verwicklung und Abwicklung, alle Puzzleteile einzeln und sorgfältig aus dem ehemaligen Bild lösend, zurück in die Verpackung des Uterus. Das Ich verschwimmt langsam, wie sich der Tuschetropfen in der Badewanne auflöst. Solche Menschen sterben, wie sie geboren wurden, nur umgekehrt, ein letztes Luftholen. Wird er sich am Ende selbst objektivieren?

Ist Erinnerung auch eine Frage des Willens oder des Glaubens? Wahrscheinlich schon. Aber ich bin zu faul dazu. Er jedenfalls weiss, das seine ersten Erinnerungen fremde sind. Vater, Mutter, alle haben auf ihn eingeredet, dass er sich erinnern könnte, wenn er denn wollte. Meine Erinnerungen sind Ideen, die sich irgendwie aus der Wirklichkeit gelöst haben, wie die kleinsten Partikel meiner selbst, die sich im Nichts der Umgebung verirren. Ideen, die sich wie eine Blase aus dem wirklichen Moment gelöst haben und dann in mein Hirn diffundierten. Es sind fast ausnahmslos Verzauberungen der Aussenwelt. Ich kann nur mich sein, wenn ich draussen bin, nur das gibt einen Sinn als Ganzes. Behausungen sind mir grundsätzlich zu wider, suspekt, da lauert Arbeit, Mühsal, künstliche Wiederholung. Ausser natürlich, bei Schlechtwetter, die Küche, warm, dampfend, wohlriechend, voll Müttern und Mamas. Die verzauberte Aussenwelt auf dem Feuer, verbunden und vermengt. Der Küchenstuhl im Terrassenzimmer hat den gleichen weissen Anstrich wie das kastenartige Kinderbett, in dem ich immer mit dem ersten Tageslicht erwachte und mit einer kleinen Kette, mit der man das Taschenmesser an der Hose befestigt, die Gitterstäbe ansägte, bis mich Mutter aufnahm und vor die Türe stellte. 

Da standen im Sommer, wenn die Tage lang waren und die Sonne nicht genug von uns bekommen konnte, Waschzuber bereit, gefüllt mit Wasser, das am Nachmittag so warm geworden war, dass ich mich da mit dem Nachbarmädchen vergnügen konnte. Und draussen an der Mauer, in einem bäuerlichen Bergweiler, waren die Löcher, in die man Pfosten stellen konnte, noch gefüllt mit verblitztem Gewitterwasser, so dass ich selbst kochen wollte, eine himmlische Mischung mit teuflischen Zusätzen, Blütenblätter, grünes Gras zur Sättigung, zerriebene Käferbeine, sich windende Wurmteile, zermantschte Köpfe von Gänseblümchen, auch einige Donnerkiesel und etwas Staub. Daraus stieg die Sehnsucht der Berge, das weisse Licht, die Andeutung von Gerüchen, die asketische Kahlheit der Gedanken, die erahnte Kühle des ewigen Schnees, das leise Flirren der heissen Luft, das Prickeln des Sonnenbrandes, ein Vorbote der Schneeblindheit. Athletische Klarheit.