Die Wartauer Gegenreformation

Wir lesen heimatliche Urkundensprache ihrer Zeit, die Schrift gesetzt in der Schwabacher Fraktur, den Judenlettern. Mann schrieb das Jahr 1542, als an Mittfasten in der St. Martinskirche zu Gretschins über den Glauben gemehret wurde. Von Sargans waren dabei die Schultheissen. Das Mannsvolk einer ganzen Gmeind Wartauw sass unter selbem Dach versammelt: Gretschinser, Schaner, Malanser, Funtenaser, Murriser und Atzmaser. Auch etliche Mannen vom Hohlenweg und Trüebenbach fehlten nicht. Das gab ein hartes Gedränge. Hinter den gestossen vollen Zugbänken im Gang bei der Tür standen erst noch Rücken an Rücken die gefreiten Walser von Matug und Belfries und mussten staunen über das grosse Gevölk.

Dieweil sie solches erschauten, hub der Priester von Ragaz zu sprechen an und als er die Red beendet, ward alsbald gemehret. Und es wurden beider Religionen Zugewandte abgezählt und befunden auf Evangelischerseits 332; deren aber, so die Mäss begehrten 22. Da hat der Pfaff ab der Kanzel geschrieen: Verloren seid ihr! Die gefreiten Walser sollen sich zu selbiger Stund deshalb wieder zur römischen Religion geschlagen haben, weil ihre Weiber, so sie geheuratet, römischen Glaubens waren. Zu Wartauw hätten sie keine Mädels zu Frauen bekommen, da es diesen in ihrer höchen Wildnis zu rauh war.

Der Kaplan und der Amman von Funtenas hatten schon etliche Jahr vordem zu Wartauw neben Hans von Hewen, dem ehemaligen Priester und dem ersten evangelischen Prädikanten zu Gretschins, mannhaft getan für die Ausbreitung der reinen, uralten evangelischen Lehr. Anno 1578 verstarb der Letzte, so zu Wartauw die Mess begehrte und es gab in der Gmeind der Römischen keinen mehr. Solches geschah nicht einmal fünfzig Jahr nach der Kappeler Schlacht, allwo man einem Meister Zwingli die eisern Sturmhauben zerschmettert.

Als der Meister damals den evangelischen Taufstreit zu schmälern und schlichten suchte, schloss man zu Warthauw alle Kapellen und zog die Stiftungen ein. St. Martin sollte alleinige Pfarrkirche sein und über alle Mittel verfügen, nachdem kaum drei Jahrzehnt zuvor der Streit zwischen dem Pfleger der Pfarrkirche und den drei Kapellpflegern durch den eidgenössischen Vogt im Sarganserschloss entschieden werden musste. Besonders die Atzmaser, die am weitesten weg von der Hauptkirche wohnten, begehrten Kerzen für ihre Andachten zu Ehren der Toten in der St. Nikolauskapelle. Gretschins musste darauf pro Leiche eine Kerze liefern. 

Noch oftmals wünschten die Evangelischen dieser Dorfschaft die Öffnung der Kapelle zu Religionsunterricht und Abend-Gebätten bei schlechtem Wetter, aber ihr Begehr blieb unerhört. Es waren eben andere im Land Herr und Meister. Zweifach war das Völklein geknechtet und begehrte nicht nur Lösung von der kirchlichen Obrigkeit, sondern auch die Abschaffung der Leibeigenschaft. In diesen Dingen aber waren alle Machthaber einer Meinung.

Nach der Niederlage Berns und Zürichs im zweiten Kappeler Krieg schrieb der Zweite Landfrieden den konfessionellen Status quo fest, aber – den Stimmenverhältnissen in der Tagsatzung entsprechend – benachteiligte in den Gemeinen Herrschaften die Reformierten: Zwar durften die Evangelischen ihren Glauben weiter ausüben, aber es durften keine neuen Gemeinden entstehen. Umgekehrt sollten herkömmliche oder neu entstandene katholische Minderheiten das Recht auf eigenen Kult beanspruchen können. 

Die römischen Priester in der Landvogtei dieweil lebten in neuem Stile, auch gerne mit Konkubinen, so dass die alten Orte und der Churer Bischoff ein Kloster stiften mussten, von dem aus die Festigung im alten Glauben kommen würde.

Es gab dann auf Palfris eine einzige Haushaltung, die während der Pest­zeit durch Heirat zum alten Glauben übergetreten war. Da der Schwyzer Landvogt Joseph Anton Reding auf dem Schloss Sargans noch drei weitere Familien zum Abfall vom reformierten Glauben überreden konnte, verfügte er kategorisch, dass in der Kirche zu Gretschins wieder die katholische Messe gelesen werde. Das eigenmächtige Vorgehen des Landvogts warf nicht nur in Wartau hohe Wellen; es wurde in jener Zeit zum Hauptgespräch an der Tagsatzung.

Nach der Wiedereinführung der katholischen Messe für die vier Seelen, gehalten durch Kapuziner aus dem neugegründeten Kloster in Mels, gab es Krach und Handgreiflichkeiten, weil die Kapuzenmänner ihren Gottesdienst überzogen und die evangelische Mehrheit vor ihrem Gotteshaus warten sollte. Der Stand Zürich verlangte darauf an der Tagsatzung zu Zug, die römische Messe in Wartau abzustellen; Reding aber hiess die Messe weiterhin am Sonntag genug früh zu halten. Zürich wollte das nur hinnehmen, wenn denn die Wartauer die Nikolauskapelle renovieren und dort evangelischen Gottesdienst halten könnten. Die fünft alten Orte wollten dies nicht zugestehen, man rüstete sich auf beiden Seiten zum Krieg. 

Die Rösslerin hat wiederholt böse Unwetter über die Weinreben geschickt. In ihrem Zinnteller hat sie Kieselsteine stark durcheinander gerührt und so Blitz und Donner heraufbeschworen. Je mehr Kieselsteine sie genommen hat, desto stärker ist das Gewitter geworden. Dafür fand die Rösslerin ihr Ende im Hexenturm. Am 22. August 1695 wurde in dem damals von einem schwyzerischen Landvogt regierten Uznach die Hexe verbrannt, wobei viel Volk zuschaute. Sie hat auch verjahen, dass sie ein Mal bei dem Bösen in einem Wald und zwei Mal allweg auf freier Heide gewesen sei und da seines Willens mit ihm gepflogen hat. Auf dem Heimweg vermeinten nun einige dieser Zuschauer, auf dem Felde bei Ermenswil und Eschenbach unter einer riesigen Staubwolke eine ganze Armee Soldaten zu sehen, und sie befürchteten sogleich einen zürcherischen Überfall. In Wirklichkeit war es eine Herde Schafe, welche von einem Zürcher Metzgerknecht nach Hause getrieben wurde. Indessen liess der Pfarrer von Eschenbach auf die alarmierende Meldung hin die Sturmglocken läuten und Bericht nach Uznach erstatten. Drei Stunden später standen 300 Mann in Waffen bereit. Als der Kommandant der Grafschaft Uznach schließlich erkannte, daß das Ganze ein blindes Lärmen sei, entliess er zwar sofort die Bewaffneten und sandte auch ein Entschuldigungsschreiben an den Zürcher Amtmann in Rüti. Inzwischen waren aber bereits einige Grüninger Amtsleute, die sich gerade in Uznach aufhielten, gefangengesetzt und mit Schlägen und groben Worten übel traktiert worden. Gleich dem Vieh sind sie durch die Gassen in den Turm getrieben worden, wo zuvor die Hexen waren. Erst nach der Rückkehr des schwyzerischen Landvogts wurden die Grüninger freigelassen. Wohl hiess er sie persönlich mit freundlichen Worten und Darreichung der Hand willkommen, gab auch seinem Bedauern über die Misshandlung Ausdruck und liess ihnen Wein, Brot und Käse ohne Bezahlung zur Gnüge auftischen, versah sie schließlich noch mit einem eigenhändig geschriebenen Pass zur ungehinderten Rückkehr; doch es erforderte umständliche Korrespondenzen, bis für die Geschädigten ein Schmerzensgeld erwirkt und der Uznacher Hexenkrieg zu guter Letzt mit einer splendiden Belohnung für den Landvogt und für die Landvögtin – zur Discretion – endgültig beigelegt war.

Pfarrer Tschudi meldete von Wartau nach Zürich, dass der eine römisch gewordene Palfrieser vom Landvogt Reding die für den Übertritt versprochenen 300 Gulden verlangt, aber nicht erhalten hätten. Eine Woche später erschienen die Abtrünnigen wieder zum evangelischen Gottesdient in Gretschins. Die Tagsatzung in Baden beschloss so, dass die einzig katholisch verbliebene Familie von Palfries nach Sargans zur Messe könne, sintemal auch der Weg eine halbe Stunde weniger weit sei. Zu Wartau soll wieder alles beim Alten bleiben. 

Von den elf verbürgten walserischen Haushaltungen anno 1503 – zwei im Hinter­ und zwei im Vorderpalfris, sechs am Walserberg und eine auf Matug – existierten 1639 noch deren fünf (Stammvater Klemenz zog kurz davor von Weisstannen über Mels auf den Walserberg) und 1778 noch drei am Berg – in der kleinen Eiszeit sind sie talwärts gezogen und haben sich in die Bürgergemeinde eingekauft. Die letzten freien Walser – die katholischen Nachkommen von vier Schlegeln und eines verstorbenen Schumachers in Palfris – er­hielten nach dem Sieg der Föderalisten durch die Kantonsgründung 1803 zwar das kantonale Bürger­recht, nicht aber dasjenige der Gemeinde Wartau. Als Heimatlose wur­den sie erst 1827 auf Druck der Regierung ins Ortsbürgerrecht aufgenommen und verloren eine weitere hoheitliche Freiheyt. 

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