Existenz impliziert den permanenten Test, ob man sich sehen lassen kann. Les dieux ont soif. Gott ist mir innerlicher als ich selbst und höher als meine Vorstellung. Die Anachoreten sind die Athleten der Verzweiflung. Die Reformation fusst in der Vorverlegung des Purgatoriums ins irdische Dasein. Erfolg meint Kausalität, die Glück hat. Manichäer erfahren Weltfremdheit und üben sich in der Vereigentlichung ihrer Existenz. Jedes pneumatische Selbst ist dazu berufen, zum Helden im höchsteigenen Erlösungsroman zu werden. Der Mensch ist in der Welt, aber nicht von der Welt. Das Pneuma sieht sich als etwas von aussen Hineingeratenes. Auferstehung als Lebensstil.
Der sokratische wie der jesuanische Justizmord sind Geburtshelfer der spirituellen Welt-Abständigkeit. Erlösung tritt ein als Einsicht in die Gnade des Nicht-mehr-zugehörig-sein-Müssens zur unerlösbaren Unrechtstotalität Welt. Die gnostische Seele ist beflügelt von der charismatischen Erinnerung an ein vor-ursprüngliches Recht auf Vollkommenheit. Sie fühlt sich den Realitätsdämonen nicht mehr unbedingt tributpflichtig. Seit alles, was von der Welt ist, negierbar wurde, erklingt jubilatorische Dissidenz.
Der aus dem Osten herandrängende Erlösermythus sprengt die griechische Theorie des zeitlos Seienden durch eine Ereignisphilosophie in der Zeit: Schöpfung, Fall und Erlösung als Diskontinuitäten des Seienden. Die sich zeitigende Wahrheit reisst Philosophen mit, Heidegger bedenkt sie als das Beben des Seins im Dasein.
Die Seele ist zunächst gezwungen, ihr Ich durch Anlehnung an das Übergewicht des welthaft Vorgegebenen zu bilden. Das innere Weltsystem entsteht mit Realitätsfitness, Wille und Selbsterhaltungspriorität, die psyche. Die Verirrung in die Welt und das werden wie sie ist die Phase des Selbstvergessens. Wenn die Kehre eintritt, durchflutet das Licht eigentlicher Geschichtlichkeit das pneumatische Selbst. Die Wende kann nur von selbst geschehen. Im Rückweg gibt das Selbst seine Psyche, das innere Sediment des Lebens im welthaften Müll, nach und nach an den Kosmos zurück. Das Selbst übt sich rückwärts aus dem Gewordensein heraus. Wenn die Seele den Staub der erworbenen Eigenschaften abgeschüttelt hat, erfasst sie sich neu in ursprünglicher Eigenschaftslosigkeit: Als etwas Ungewordenes, Schwebendes, Vollkommenes. Von da an lässt sie ihre eigene Produktion von Zeit fallen.
Die Seele sorgt sich um Vergöttlichung durch Einsicht. Sieht sie Licht, erhellt sich auch die Verdunkelungszeit. Gross denken heisst gross geirrt haben. Die glückliche Theorie lebt aus dem Versprechen, den ontologischen Vorrang der Angst zu überwinden. Das schwebende In-etwas-Sein des kampflosen Gehirns erinnert sich selbst an den flüssigen Anfang seiner Geschichte. Wenn die Umwendung gelingt, findet das Subjekt auch In-der-Welt den Freiraum, der ihm zukommt. Die Minuten werden kostbar.
In der klassischen Metaphysik ist Gott die Einheit von Bei-sich-Sein und Ausser-sich-Sein. Genau das kann auch dem endlichen Dasein zugesprochen werden, wenn man es mit Heidegger als insistent und ekstatisch begreift. Die platonische Erotologie hatte der christlichen Theorie inniger Beziehungen den Stachel gesetzt. In der Intimität von Intersubjektivität und Interintelligenz schlummern hinter den theologischen Diskursen die patinierten Schätze eines vormodernen Primärbeziehungswissen. Für die menschliche Liebe gilt, dass sie, bevor sie sich ereignet, auf keine Weise existiert.
Spräche die Mystik mit moralischer Stimme, würde sie gebieten: Erwärme dein Eigenleben bis über den Gefrierpunkt und tue, was du willst. Wenn die Seele taut, wer wollte zweifeln an ihrer Neigung und Eignung, mit anderen zu kooperieren und zu feiern? Die erregendsten eigenen Gedanken sind fremde Gedanken, die unseren Kopf benutzen.
Das Enthaltensein im Umfang Gottes lässt sich vorstellen wie die eines Punktes in einer alles einschliessenden Kugel, wobei der Punkt auf seine Weise die Kugel spiegelt und enthält. Die geliehene Seele verleiht dem Ich-Sein Amtscharakter und die Subjektivität ist als Planstelle im Haushalt Gottes konzipiert und bewilligt. Wenn der Mensch eine Kugel wäre, so kann man sich diese nur als unrund vorstellen. Cusanus hat in de ludo globi gezeigt, wir schwierig es ist, diese ins Haus und ins Ziel zu bringen. Das ist wenig handfest, eher Fussnote.
In einer von egalitaristischen Kriterien dominierten Situation tut sich der Mensch schwer damit, sich als Wesen zu erkennen, das in einer konstitutiven Vertikalspannung lebt. Seit der Aufklärung heisst Politik, die Vertikaldifferenzen zwischen Menschen in Horizontaldifferenzen umzuwandeln. Mit dem Rangbegriff sind alle existenziellen Wertigkeiten verschwunden. Doch der Mensch bleibt vom Stress des Mehr-oder-Weniger-aus-sich-Machens nicht entlastbar. Jeder Mensch, der etwas auf sich hält, ist zu einer Art Unfehlbarkeit verdammt. In der Malerei der Renaissance verschwinden die Heiligenscheine. Seither sehen wir Heilige als Athleten, die sich ungewöhnlichen spirituellen Trainingsroutinen unterworfen haben. Die Spannung zwischen dem sapiens und dem insipiens vulgus ist verschwunden, endgültig mit der Übertragung des Beiwortes vom Einzelnen auf die Gattung mit gleichzeitiger Verdoppelung. Wir sind von Natur aus homo sapiens sapiens. Es ist nich mehr Gott, der die Differenzen gering erscheinen lässt. Es geht jetzt um die Gleichheit vor dem Nichts.
Die Seele ist nicht mehr eine besondere Kraft der inneren Raumerzeugung, ein Heiligtum, sondern Theater oder Fabrik. Während die Psychoanalyse noch von einem Seelenhaus ausging, das von okkupierenden und inspirierenden Geistern eingenommen und verlassen wird, sieht die Psychologie ein Knäuel von Objektbeziehungen. Die Theopsychose ist nicht mehr der Idealfall geglückter Beseeltheit, sondern klassifizierte Abnormität. Selbstsein versteht sich als der unbegeisterte Konsum der eigenen Erlebnismöglichkeiten. Coolness ist das Megasymptom im technischen Zeitalter. Die Aufklärung hat sich müde gesiegt, die Psychen hängen zum trocknen aus. Es kann zu einer fatalen Wechselwirkung theoretische Selbstvergegenständlichung und psychischer Depression kommen, die nur Beseelung überwindet.
Angesichts der Endlichkeit von Wissen ist es vernünftig, den Realismus der positiven Kenntnisse zu ergänzen durch den Sinn für das Mögliche und Unmögliche, für das Aussergewöhnliche, das Absurde und Wunderbare. Intelligenz lebt stets in einem Mehr oder Weniger ihrer selbst, und sich am Pol des Mehr zu orientieren ist eine Geste, mit der sich die Intelligenz zu der ihr eigentümlichen Transzendenz bekennt. Dem Weichen im Festen Struktur geben, für das Formlose eine Form sein – das ist die kurzfassende, verschränkende Wortgebung für adulte Erleuchtung in Ost und West. Gläubige Glücksspieler sind immer in einer guten Strähne.
Dass ein Individuum die Wahrheit über seine Wandlung zur Wahrheit bekennen möchte, ist ein Indiz für sein In-Sein in ihr. Der Umstand, dass der Bekenner sagen kann, was ihm zu sagen gegeben ist, kommt einem schlagenden Beweis oder einem Gottesurteil durch die Feder gleich. Jetzt gilt der Satz, dass wahr ist, was wirkt.