Sakralien

Craniovolitäten sind sie auch. Die Fugen sind elastisch gekittet. Wie die Kontinente schweben die Schädelplatten auf der pulsierenden Hirnhaut. Oberflächliche Eisschollen der Schädelkalotte, durch ätherische Öle im Frisörsalon markiert, bewegen sich im Rhythmus des cerebrospinalen Likörs. Beim Menschen liegen die Wellenkämme sieben oder acht Sekunden auseinander. Atem- und Herzfrequenz sind mit einem individuellen Algorhythmus mit diesem Grundtakt der Wirbelgeschöpfe unterlegt.

Während der kleinen Eiszeit hat Valsalva herausgefunden, dass man bei Herzflattern das rasende Herz selbst wieder mit dem Craniosakralrhythmus synchronisieren kann: Ganz ausatmen, die Nase zuhalten und weiter auspressen, jetzt mit der ganzen Thoraxmuskulatur. Wer gelegentlich mit Herzflattern lebt, wird den Trick rasch lernen und ohne Aufsehen seinen Herzschlag manipulieren. Die Geste gleicht dem Druckausgleich im Mittelohr, wie wir sie manchmal auch wegen unerklärlichen Druckunterschieds ganz gewöhnlich ausüben. Hält man den Valsalvaschen Druckeinfluss im Thorax etwas länger aufrecht, vollbringt der alltägliche Wille einen Herzstillstand. Valsalva hat so seinen Herztod als Suizid inszeniert, aber er kannte den Trick, wie man wieder zurückkommt und die Verblüffung weiter steigt.

Hirnforscher küssen sich nach der Habilitation die Stirn. Auf die Mitte, um die Valsava-Doktrin der kontralateralen Beziehung von Körper und Gehirn zu übertrumpfen und den präfrontalen Kortex in seiner supervisionären Funktion zu bestätigen. Organisch sitzt der Lenker dort, wo wir ihn vermuten: Hinter der Stirne. Es scheint aber einen Gegenspieler zu geben, der seine Reize direkt über Körperwahrnehmung empfängt und in neues Leben verwandelt. Er spielt den Lenker.

Fussballspieler wissen: Der erste Gedanke am Elfmeterpunkt ist der Richtige. Sofort und doch sorgfältig ausgeführt bringt er den Erfolg. Bringt der Erfolg. Derfolg. Auch im Skisprung. Zwingend. Impuls und Supervision Einklang. Die Magie der Selbsterfüllung. Kontrollierter Zufall. Wieder so eine Leerstelle, die behauptet die Wahrheit zu sein. Oben Selbstüberschätzung, unten Demut.

Das erogene Nervenschaltzentrum steht unter der Verwaltung der Entspannungsnerven und liegt im Rückenmark beim mittleren Kreuzbeinwirbel. Es wird auch reflexogenes Zentrum genannt, weil von ihm die Information der Nerven aus der Genitalgegend über erotische Berührungen direkt umgeschaltet werden können – ohne weitere Überprüfung durch das Gehirn. Parasympathisch. Das kreuzbein ist ein Hummer. Sex ist Reflex. Die Meldungen gelangen aus dem Kreuzbein über die Entspannungsnerven direkt zu den Genitalien, um dort beim Weibchen die Klitorisschwellkörper und die vaginalen Blutgefäße aufzufüllen und in der Folge den oberflächlichen Feuchtigkeitsfilm zu bilden. Parallel dazu melden die sensorischen Nerven alle Sinneseindrücke an das Gehirn weiter. Erst jetzt zeigt sich, ob das, was zuerst als erregend empfunden wurde, auch von den Überwachungszentren und der Vernunftkontrolle entsprechend wahrgenommen und bewertet wird. Bestätigt das Gehirn diese Empfindungen, gelangen sie zurück zum Zentrum der Entspannungsnerven und von dort weiter zu den Genitalien. Sex ist Reflexion.

Das reflexogene Zentrum im Kreuzbein erhält einen Beckenbodenschrittmacher.  Mit sakraler Neuromulation kann der Craniosakralrhythmus getaktet werden. Damit verbessert sich die Kontinenzleistung,, ein äusserst kompliziertes Neuronenzusammenspiel. Sakralnervenstimulation ist asexuell. Fast wirkungsgleich sind metallene Vaginalkugeln, ihre Schwingungen stimulieren die Muskulatur und versprechen ebenfalls verbesserte Kontrollherrschaft, aber auch bombastischen Vaginalorgasmus. Sie aber nicht spüren, nie an die Kugeln denken! Am besten trägt sie diese zum Duschen und Einkaufen.

Der heilige Pater Pio mit seinen Stigmata und weiteren Charismen wie Bilokation: Bei der Danksagung spürte der Priester einen tiefen inneren Frieden, ein Seraph (Sechflügler, singen Heilig heilig heilig) erschien ihm und nun begannen seine bisher geröteten Hautstellen zu bluten. Nun trat der schöne Haudegen durch die Wand und hielt einen Schlachtenverlierer vom suizidalen Pistolenschuss ab. Der General erkannte ihn später bei einer Wallfahrt.

Johannes XXIII aus Bergamo, unterdessen selbst heiliggesprochen, wehrte sich gegen die Verehrung des Kapuziners, der wie ein moderner Sektenführer mit seinen Verehrerinnen auch sexuell verkehrte und politisch dem Faschismus zuneigte.  Wenn Pater Pio gestattet, würde ich sagen, seine Hand sah aus wie frisch manikürt und das Stigma knusprig fein. Die Händler kamen zurück in den Tempel, aus dem sie einst von Jesus vertrieben wurden. Ein junger Ostschweizer Priester, Buschor, der als Mittelschullehrer für weltliche Fächer und freier Fernsehmitarbeiter lebte, machte 1968 sein erstes und grösstes Kinowerk, einen Dokumentarfilm über Pio, der heilig gerufene. Da sieht man die Hände bei der Beerdigung. Aus dem Filmerlös leistete sich Buschor einen eigenen TV-Sender. Ebendieser Pio hatte dem jugen Wojtyla prophezeit oder weisgesagt, dass er als Papst ein Attentat überleben werde. Heimzahlte es ihm Johannes Paul II mit Selig- und mit Heiligsprechung.

Als der Spieler seine letzte Habe verloren hatte, verfluchte er Gott und stiess seinen Degen gegen den Himmlischen. Herunter kamen Blutstropfen, klatschten zu fünft auf den Wirtshaustisch zwischen Stadtmauer und der heutigen Kirche zum heiligen Blute. Geschehnis vom 7. Juli 1392. Der Teufel holte den verblüfften Frevler vom Spieltisch und die anderen versiechten. Der Himmel ist der einzige bewohnte Vergnügungspark im All, folgert CJS, ein junger Synästhet & Poet aus Österreich, der seine eigene Erleuchtung als Sehstörung beschrieb. Im Botanischen Garten erblüht das Erlebnis zur Gnadenoffenbarung. Er ist das Schaf, das aus seiner eigenen Wolle ein ander Thier strickt. Die Willisauer Spielkarten ziehen sich beschämt zurück, zwischen zwei Buckdeckel mit der irreführender Prägung. Der Trumpfbauer heisst Karnöffel, er kann den Papst schlagen, aber nicht den Teufel. Der ist teufelsfrei, kann nicht stechen und kann nicht gestochen werden. Die Christusfigur in der Monstranz trägt ein Kübelchen mit den Resttröpfchen.

So bleibt eine Ferne nun, selbst im Nächsten. Das Kalziumatom in meinem liebsten Knochen braust aus der nichtssagenden Singularität des Schöpfungsknalls durch eine pulsierende Kette explodierender Kugeln in meine knöchrige Standhaftigkeit, hin durch Muscheln und Salate, bis es sich zersetzt und sich die Reste neu verbinden. Das Photon nickt und schrumpft ins Nichts. Maultiere bechern Wodka. Archaeopteryx staunt. Wolfseulen heulen, die Standseilbahn im Steilwandwahn.

 

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