Vormaliges Gemüt

Klar ist: die jetzige Situation ist kein Zustand. Wie derzeitige Situation zeigt, reicht es nicht, die Impfentscheidung den Eltern zu überlassen, um das medizinalpolitische Ziel einer Impfquote von 95% zu erreichen. Wer in Deutschland sein Kind in einer Tagesstätte betreuen lassen will, muss die Impfbescheinigung vorweisen. Andernfalls gibt es einen Termin bei der Impfberatung; mit dem Aufgebot eine Bussandrohung in der Höhe eines Monatslohns für Nichterscheinen. In Italien drohen für Eltern Bussgelder in dreifacher Höhe, wenn sie ungeimpfte Kinder in die Schule schicken. Frankreich ist en marche und wird ab Neujahr die Pflicht, Kleinkindern elf verschiedenen Medizinal-Stoffe einzuverleiben, mit Gewalt durchsetzen. Nur so kriegen wir Herdenimmunität her (medizinischer Fachausdruck, Kompositum aus klassischer Antike und deutscher Aufklärung).

Zustände sind fortdauernde Situation. In Situationen sind wir immer, Zustände stellen sich manchmal ein. Erwachsen aus der Situation, die sich als Zustand über das situative Kontinuum legt. Eine Statik, welche die Dynamik zur bedeutungslosen Beliebigkeit erniedrigt. Zustände sind eine Erduldensform, ich bin das Unterworfene, das Ziel des Geschehens. Ich weiss nicht, warum sie mir zustehen, und wir mir geschieht, wenn sie mir zufallen. Es sind Zustände ohne Umstände, unabhängig von sichtbaren Äusserlichkeiten, aber auch von erkennbaren Innerlichkeiten. Es sind Umhänge, die mir zugeworfen werden, und die mich bedeckt halten. Zuhälter preisen mildernde Umstände.

Und wenn Du sprichst, dann spricht nur ein Teil von Dir. Der andere Teil wartet ab, schaut her, amüsiert sich ab und zu. Ganz zufällig sind Zustände ja auch wieder nicht. Obwohl der Zustand, durch fremde Macht hervorgebracht, jeden Aufstand im Keime erstickt, so bleiben wir doch für uns selbst zuständig und lernen, anständig darin zu leben. Man muss also versuchen, Selbstbeherrschung zu bewahren, wenn der Zustand auf die Ausdünnung der Hoheitsrechte aus ist. Mit der Zeit wird man geschickt im Umgang mit den herrschenden Zuständen. Wenn man die Zustände selber ganz in den Griff kriegen will, so macht man das am Besten, in dem man sich Zustände ausdenkt und vorstellt. Die Welt in ihrem aktuellen Zustand erhält dadurch subjektbedingt rein transzendentale Idealität, Kern ist mein Wille als eigentliches Ding. Aufklärung am politischen Siedepunkt.

Heutiger Zustand ist aber gegebener Raum, in dem wir uns unverschuldet und manchmal unverhofft wiederfinden. Dieser Raum kann eine Innenkrümmung haben, das kann man nur von aussen erkennen. Eine Aussenkrümmung aber hängt von der Innensicht ab: Davon, ob man eine weitere Aussen-Dimension voraussetzt. Auf jeden Fall können wir den räumlichen Zustand und den zuständigen Raum von unterschiedlichen Standpunkten aus wie auch unter verschiedenen Gesichtspunkten wahrnehmen. Wir bestimmen selbst, mit wie viel eigenem Leben wir diesen Raum ausfüllen, oder ob wir ihn nur durchschreiten wie eine Kunstausstellung. Für die Mixtur von ganz im Drinnen aufgehen und nur von Aussen betrachten, das Verhältnis von äusserem und inneren Ich, sind wir selbst zuständig. Also diese dritte Ich.

Mit diesem trinitären Selbstbild stehen wir in der christlich-abendländische Tradition des Mensch-Seins. Aus dem Ersatz der göttlichen Zeit durch die Ausdehnung des dreidimensionalen Raum zur vierdimensionalen Raumzeit und dem volksbelustigenden „Der-Alte-würfelt-nicht!“ folgt die Wahrheit, dass es prinzipiell ein viertes Ich gibt. Es ist etwa so leicht zu finden wie ein Matt in vier Zügen. Danach gipfelt die fünfte Potenz. Wir haben also ein Matrjoschka-Bauprinzip des Selbst. Im Innersten sind wir genau bei der Unendlichkeit angekommen: Ein mathematischer Beweis für die Göttlichkeit der Seele.

Aber bei diesen Zuständen, von denen vorgängig Bericht vorlag, muss man erfahrungsgemäss davon ausgehen, dass nur das erste und das zweite Ich in den Bann des Zustandes geraten, das dritte, innerste Ich, sich aber auf die ganzheitliche Aufschau konzentriert. Wenn aber zwei Ich drin sind im Zustand, das Dritte aber draussen, so muss Letzteres warten, bis die anderen zwei wieder herauskommen oder aus dem Zustand entlassen werden. Wie soll das aussenvor bleibende Ich auf die anderen zwei einwirken, auf den Hohlraum des Zustandes Einfluss nehmen, der eigentlich ein Innenraum ist und kein Aussen kennt? Also ist es eher so, dass das dritte Ich bei den anderen zwei und mitten drin ist. Als innerstes Ich bildet es einen dichten Raum, der an ein kosmisches schwarzes Loch erinnert. Damit meine ich nicht, dass alles reinfällt, dass es so dicht ist, dass es dem Zustand ebenbürtig wäre. Nein, die Zustände fallen mir zu, wie Früchte vom Baum. Ja, so ist es: Weil ich in diesem Zustand bin, kann ich nicht das tun, was ich tun müsste, um herauszukommen. Ich liebe es, wenn die Frucht gravitätisch in meinen Mund gleitet. Einverleibt. Das Ich erhebt sich langsam, klopft sich den Staub von der Hose und geht schweigend weg, weg aus diesem Zustand.