Beutels Erbeutung

Garderobe und Fensterwand buchten sich aus, unsere Wohnung wurde klein und rund, röhrenförmig, und ich drohte rückwärts aus meiner Fischaugenhalterung zu kippen. Rote Punkte und neblige Flecken stiegen langsam auf und sanken auf der anderen Seite schwebend nach unten, mir war alles fremd wie im Blick durchs drehende Kaleidoskop.

Sie war nicht da, als ich nach Hause gekommen bin. Sie war gar nicht da gewesen, wurde mir klar, keine Zeitung auf dem Tisch, nur der eine Teebeutel vom Frühstück neben dem gerippten Henkelglas. Und die neuen Schuhe, die sie nur abends trägt, dafür jeden Abend, lagen ausgekühlt auf den Gummirippen des Abtreters. Es roch nach nichts, und das ist ein undeutbares Zeichen.

Die Combox blinkte dringend, da wollte eine Nachricht raus. Sie ist die Ruhe selbst, das sagen alle von ihr. Trotz oder gerade wegen ihrem Beruf war das auffällig. Ich bin mir da nicht so sicher. Sie war nie aufgeregt, aber wenn ich sie mit meiner zwanghaften Zerstreuungssucht manchmal bis auf’s Blut nervte, sah ich immer das Flackern und Zischen der unruhigen Seele in ihren Augen. Auf jeden Fall ist das nicht ihre Art, als nachrichtenloses Vermögen zu verschwinden, wo doch meine Ansprüche an sie und auf sie, gerade an einem Freitag Abend, weder von ihr noch anderen klugen Köpfen hätte in Zweifel gezogen werden wollen. Ein Unglück schwebte auf Brusthöhe.

Ich erkannte die Stimme ihrer Arbeitskollegin aus der Klinik nicht sofort und ihr Name ist mir entfallen, aber das tut nichts zur Sache, ich brauche ihn hier nicht zu nennen. Tot sei er, der Papst, wie ihn in der Klinik alle nennen, in den Tod getrieben von seinen Messdienerinnen, aber vor allem von ihr; sie allein mache der Staatskanzler, um den Institutsdirektor in diese närrische Welt einzugliedern, verantwortlich; sie allein treffe die Schuld. Und da werde Sühne folgen müssen. Wahrscheinlich ist sie, die ihn nicht nur ruhigstellen, sondern ihm Ruhe vermitteln oder gar schenken sollte, wieder einmal zu weit gegangen. Sie hat ihm wohl die ungeschminkte Meinung gesagt, und da hat sein Ticker ausgesetzt. Gerade Päpste und dergleichen Personal reagieren innerhalb ihrer Entourage auf unhöfliche Wahrheiten hochsensibel.

Ich müsse sie suchen, dringend, sie könnte sich was antun, auf jeden Fall könne man dies nicht ausschliessen, auf jeden Fall sollte ich sofort zur Münsterbrücke. Vielleicht besser gleich rechts runter, unter die Flussquerung. Da kann ich dann das Schiebedach öffnen und mit laufendem Motor warten, bis sie springt, um sie dann auf dem Nebensitz aufzufangen. Ich kann jetzt gut daherreden, sicher war ich im ersten Moment fassungslos und wollte wirklich rüber in die Garage.

Glücklicherweise musste ich dringend mal, und als ich in’s Klo pinkelte – stehend, versteht sich – da war durch’s offene Fenster nichts zu sehen, nur Schlaf, ruhiges Dunkel, so dass ich die Aufregung vergass und meine Augen an der Zeitungsseite hängen blieben, welche sie hatte hinter Glas bringen und rahmen lassen. Eine britische Nobelkarosse, ein sportlich-elegantes Papamobil. Erst betrachtete ich teilnahmslos das winzige Porträt, das zur Absetzung der Textblöcke in die Spalte eingefügt war. Das Emblem wirkte wie aus einem alten Briefmarkenkatalog.

Sie hatte sich öfter über ihn geärgert, aber zuhause konnte sie darüber lachen. Arrogant war er. Natürlich hatte sie wegen seiner Leiden Mitgefühl, aber um zu gesunden, hätte er seine Besserwisserei ablegen müssen. Er hätte die Zuwendung geniessen können, die ihm hier zu Teil wurde. We’re not talking about the sort of problem you can solve with a changed tyre. Der Taler geht von einer Hand zur andern: Die geplagten Führungskräfte, welche die Wochenend-Seminare des Stress-Papstes in der Nähe von Amsterdam besuchten. Dann am Flughafen Schiphol ihre Angst vor Schizophrenie durch Konzentrationsübungen meistern. Der Stressmanagement-Guru, der jetzt den Gewinn an den Genfersee bringt. Die Klinik, welche das Geld hier in eher unansehnlich kleine Gehälter aufteilt und in Raten an das Pflegepersonal ausrichtet: So fliesst das Geld, das unsereins aus der Tasche gezogen wird, wieder in unsere Haushaltskasse.

Die Sorte Problem, von der wir hier reden, und welche die Anzeige automobil abhandelt, hat seinen Ursprung im menschlichen Kopf. Von der Stirne bis zum Nackengrauen: Hinter dem Haaransatz die Phobie, beim Haarwirbel die Frustration (kann man bei Glatzköpfen gut beobachten) und beim Stamm die blinde Zerstörungswut. Airbaig und Seitenaufprallschutz verhindern, dass Irritationen, Neurosen, Traumata und weiteres Elend verrutschen. Am hartnäckigsten die Depression: Sie sitzt hinter dem Ohrläppchen versteckt und geschützt, dort, wo man mit dem kalten Waschlappen drüberfährt und jene Feuchtigkeit zurücklässt, die einem später als Unerfahrenheit wieder einholt.

Was haben wir über diese Anzeige gelacht, heiliger Bergamott und Teufelssalbe. Kühlen Kopf behalten ist eine Frage der Klimatisierung. Die optimale Sitzposition – in der Stressprävention ist die Nackenstütze besonders wichtig – einmal gefunden, wird sie personalisiert gespeichert und namentlich aufgerufen. Der geschulte Fahrer nutzt Vivaldis Jahreszeiten, Shankars Meditationen und Beethovens Pastorale oder, die jüngere Generation ist in dieser Fahrzeugklasse noch untervertreten, Brian Eno’s Evening Star. Gedichte hören wird empfohlen, rezitieren könnte man sie allenfalls vom verstärkten Wagendach im morgendlichen Stau.

Sie war überzeugt, dass der Papst zu viel Stressliteratur verschlungen hatte, wie andere zu viel Fett oder Zucker. Er hielt sich fit und kannte alle Entspannungsübungen, doch lebte er nur für seine immer schlechter besuchten Stressseminare. Als sie ihn einmal mitten in der Nacht vor seinem Notebook fand und ihn aufforderte, sich dem therapeutischen Schlaf zu widmen, raunzte er nur, dass dieser Aufenthalt für ihn Arbeit bedeute, weil er die hier gemachten Erfahrungen in sein Präventionsprogramm einbauen müsse. Sie schlug ihm vor, die Schreibarbeit zu vertagen und offerierte ihm einen Kräutertee seiner Wahl, doch er schnauzte sie an. Hier geht es nicht um die Sorte Problem, die man mit einem Magensaftwechsel behebe, hier gehe es um dies – er klopfte sich wie wild an den Schädel – und davon verstehe er wohl mehr als sie dämlichen Stresseinsteiger.

In derselben Woche versuchte er mehrmals, sie mit Bemerkungen und Gesten zu provozieren, was sie gelassen der Pflegeleitung rapportierte. Die Meinungen über den Papst wahren gemacht, das Personal mit der Stressgemeinschaft verkracht. Man einigte sich darauf, ihm neben Vitamin B3 und B6 etwas gesunden Menschenverstand in homöopathischen Dosen zu verabreichen und ansonsten zuzuwarten, bis er sein Buch fertig haben und sich wieder anderen Zielgruppen zuwenden würde. Er war nicht der Typ, an dem man ungestraft auf die mentalen Placebos setzen würde. Und jetzt ist er tot.

Ich schüttelte das letzte Tröpfchen in die Schüssel, der letzte Rest von Aufregung war auch weg. Am Küchentisch überlegte ich, ob ich den Briefkasten leeren sollte. Dann fasste ich das Zettelchen ihres Teebeutels, zog den Faden straff, hielt den angetrockneten Beutel hoch und senkte ihn langsam in meinen aufgesperrten Mund, liess ihn über dem Rachen baumeln und spürte, wie er sich langsam drehte. Mein Hals war so schön gestreckt, eine einzige Vertikale vom Magen bis zur Mundöffnung, dass mir die Lust verging, das Teekraut auszusaugen. Ich liess das Papierchen los, schluckte den blassgrünen Happen und versuchte, mich auf das leichte Kratzen zu konzentrieren, welches das Etikett mit zehn Zentimeter Verspätung hervorrufen würde.

Allerhöchstdieselbe

Eines der frühest gedruckten Bücher ist ein Schachbuch des Spaniers Lucena. Die erste Hälfte handelt von der Liebe,  die zweite von Strategie, Taktik und zwingender Kombination. Beiderlei höfische Liebhaberei. Ich mach mir ein Brot aus Roggenschrot. Willst Du auch eines? fragt Auster. Herzlichst geht in keinster! Weise. Zum Ausdruck soll größtmögliche Teilhabe an einer Eigenschaft kommen, der kardialen Güte. Sie schwillt zur kardinalen Herrlichkeit, verpufft der Bluff im Hyperlativ. Elativ gemeint, doch exzessiv verausgabt. Um sich dann vollständig in die Kontemplation seiner erhabenen Einsamkeit zurückzuziehen. Dann gab er sich mit seinem steinernen Profil als Ältester. Eisenabguss beharrlichen Männer-Willens, wer einen Pudel bestellt. Eulen ins Wasser wirft.

Jenes bleibt verborgen. Selbst die feuchte Wärme wird ventiliert, mit Geist belüftet. Eintritt und Austritt tropfen sich hinauf. Schwellungen saugen sich Einlass, der Augenblick hüpft auf dünnem Lichtstrahl, spiralig balzt das Flügelpaar. Hügel der Wucht auf der Stirn, reines Bewusstsein die Frucht. Organmagma steigt der Gravität zuher, plasmische orgasmata – der geometrische Fluchtpunkt ihre Majestät. In seinem Namen. Die Drehung hilft, der Zeit zu folgen: die Leiber schaukeln auf den Wellen des Raumes. Im Schaum der Sinne gehüllt der ewige Sinn.

Die Herzen frequentieren den Äther und sequenzieren die teilchenschlaue Masse. Der Überfluss geht dem Zufluss voraus, bestimmt vollauf, dem Pegel abgewandt. Das Subjekt prädiziert die menschliche Grammatik: Die Missionsbraut nimmt ihn wegen seiner Sendung und wird ganz ausgefüllt. Hirnlappen der Stirnseiten, durchzuckt vom Feuerwerk der Quasaren, transkranielles Umarmen. Die unwiderrufbare Form axiomatischer Kreatürlichkeit. Die Sensation schleimhäutiger Denker, Derwisch der Laute und Launen.

Die leicht eingetrübte Flüssigkeit wurde in der Belle Époque zur gesteigerten Beseelung getrunken. Wird die geöffnete Auster von ihrer flachen Schale getrennt, der Schliessmuskel durchbrochen, so beginnt die Muschel langsam ihre Körperflüssigkeit, milchiges Meerwasser, auszuscheiden. Gekräuselte Meerbrise du parc; bei Ebbe gelesen das Gut. Die Drucksensoren mit Muskeln verbunden, zentrumslos. Die Sensation, durch meinen warmen und weichen Hals zu schlüpfen, der Wandlung entgegen. Gemeinsam bewegt. Erläuterung der Communio durch Fine de claires, in Salzwasser gebadet. Strahlender Geschmack, mineralisch die Begleitung, bezeugt in Matrons Versen.

Reinheit und Klarsicht klumpen opak im Munde und lösen sich licht. Der Schatten rückt nach. Die äusserste Spitze schlägt bltzende Funken und spendet das Innerste. Der letzte Satz bedeckt den vorigen mit der Hoffnung des nächsten. Der Baum öffnet sich zur Seite, aufgebrochen die Rundung der Lippen. Da züngelt im Gewebe der Leichtigkeit das Mutterkorn, der Rest dorrt ab. Erreger platzen, kein Beweger lässt die Versuchung aus. Gesegnet das Leben.

Nichts ist vor dem Unbewegten gefeit. Der Himmel hat sich auf die Erde gesenkt; berührungslos vereint die Gegenständigkeit. Grosszügig treiben Schwaden des Glücks durch die Flusstäler der Jahrhunderte und die Ackerfurchen der Geschlechter. Der Mensch ist die Frucht im Boden der Erkenntnis; dem Gott nährend Trüffel. Das Semicolon nimmt den Doppelpunkt ins Auge, dann die ganze Pracht a tergo durch erklärte Habenheit.

Mitlaute raunen das Mantra der reinen Wiederholung der anderen Einmaligkeit. Hüftgürtel über der hügligen Vernunft. Warnfarben und Tarnfarben flimmern kaleidisch in der melodischen Ruhe. Der Kristall tropft in die schieren Schlieren, löst sich im Sinter des Daseins wie in Daten. Kein Haar will gezählt werden, die Verschwendung streckt sich bis zum Bindestrich. Flaumt hoch, hebt die Lider zum Grund der Wandlung. Punkte liegen da, wo die Auslassung beginnt, der Schimmer bestimmt. Die Offenbarung zieht den Blick auf sich und speist die Seele mit Wahrhaftigkeit. Die Fugen voller Schönheit, Bindemittel der Güte. Kryptischer Klartext entschlüsselt als Liebe.

Einer, der nicht an das eigene Ich glaubte, suchte hier freundlich zu deuten, als Partizip der wohlwollenden Airs – aus den Stirnseiten der Leibblättern eingedunkeltes Rot, oxidierter Samt. Das einzige, was lebt, hat man nur zu zweit: Das Alleinige. Die Monade beider Nomaden. Nicht so einer, der alles an der Wand ziehen und stehen hat, Schaudinger bloss. Das Stampfen und Schaukeln der Geringsten trotzt der Gewöhnung des Höchsten. Täuschendes Glück, am Ende zu sein. In der Überschwemmung keimt der Mangel und folgt die komplementäre Philamorie. So vieles wird mit sich selbst nicht fertig, das vorfällt. Aus Begebenheiten kommt da diese Merke, Spuren der Hoffnung, liebhaberhaft das Erzählte gemeint. Was auffällt, beginnt im Anrühren. Die funkelnde Gunst unbeschriebener Haut.