Das steht hier:

Dieser Satz steht nicht im Internet. Nicht im angeführten Wortlaut. Mit diesem Enter-Tastendruck ändert das, bis zum Ende der Daten. Das Sätzlein steht im Walde bis es dereinst balde mit braunem Hut und Röhren mit Mut gepflückt wird unter Föhren. Hören Sie: Das Schätzlein wird verkostet, die Sinne sind beglückt – der Text wird sinnbestückt. Sola scriptura, die Schrift allein gibt seine Bedeutung frei. Keinen Deut scheren wir uns um andere Deuter. Die Kupfermünzen reden Blech. Wittgenstein schreibt ein Buch über das, wo zu man schweigen soll. Ausser Gott gibt es nichs, worüber klugerweise gesprochen werden sollte, ergänzt Dávila. Wie soll man jemandem etwas erklären können, wenn sie nicht mal die Andeutung verstehen? Der Wort-Guru verliert die Contenance. Wir brauchen eine hermetische Hermeneutik, um Schönheit wahrzunehmen. Ein grosser Wortschatz macht intelligent, die wahren Schatzworte glücklich. Das Geschöpf schöpft aus anderem Geschöpftem. Satz ist der Schöpflöffel.

Abstrakta kriegt man aber nicht auf den Löffel, weder den männlichen Sinn noch die weibliche Deutung. Dazu brauchen wir ein Epikoinon, welches ein Geschöpf mit natürlichem Geschlecht benennt, für das Männliche sowie das Weibliche jedoch denselben Artikel verwendet. Der Mensch, der Leser. Der Affe, die Giraffe. Substantive mit dem Genus epicoenum gibt es in Sanskrit, Hebräisch, Griechisch, Lateinisch – in unserer weiten Sprachkultur. Ungaren, Hethiter und Bantu kennen kein grammatisches Geschlecht. Das binäre, im Deutschen dreigliedrige Genussystem verliert seine generische Kraft und wird zum Genusssystem der finalen Genderbefreiung. Die Schwedische Akademie für Sprache hat im April das geschlechtsneutrale Fürwort „hen“ offiziell in den Wortschatz aufgenommen. Hen ist die Ergänzung zum männlichen „han“ und weiblichen „hon“. Das Leser. Das Mensch, das Schüler, das Student. Das Leser wird aus dem Neutrum entlassen und grammatisch zum generischen Utrum erhoben – wir haben wieder Zeit, die Geschlechterdifferenz zu geniessen. Irritationen durch hen Weib nicht ausgeschlossen.

Dieser Satz ist nicht erfunden. Im Suchfenster mit Anführungszeichen versehen erscheint nach Tastendruck das Paradoxon. Auch Hasskommentare und Fake News sind blosse Plagiate. Die Irrtümer des Wissensgesellschaft kulminieren in einer Theorie der Unbildung, lassen wir die Anführungszeichen weg. Der Mensch ist ein Gott für den Menschen, der Mensch ist ein Wolf für den Menschen. Die Reproduzierbarkeit verliebt sich in die verduftende Reduzierbarkeit. Ein Wettersatz ist eine Maschine zur künstlichen Bewetterung im Bergbau, im Harz erfunden. Dann der Dreisatz, der ins Kartoffelparadoxon mündet: Die Schweizer Trüffel trocknet aus, der Wassergehalt schrumpft von 99% auf 98. Der Haufen wiegt gerade noch die Hälfte. Der trigonometrische Sinussatz, welcher sowohl Zweideutigkeit als auch Kongruenz voraussetzt. Schade, dass ich abhauen nicht erfunden habe. Gödel besitzt ein Sinnesorgan für die mathematische Intuition. Auch er stand wie alle vor der Schwierigkeit, das Unglaubliche zu rezipieren. Die Rezeptionsvorlage ist ohne Metaphysik unverdaubar. Rumi: Fallen, wie das fallende Brot jeder Erfahrung.

Voi che sapete che cosa è amor, donne, vedete s’io l’ho nel cor.“ Ihr, die ihr Trieb des Herzens kennt, sprecht, ist es Liebe, was hier so brennt? Szenenapplaus. Im Nebenzimmer der Neffe: Stimmt es, dass Du sterben wirst? Der Grossvater bejaht, lässt Luft raus und spielt den Sterbenden so, wie er es aus Comix kennt. Krieg ich dann Dein Handy? Die Tochter verlässt das Haus, nachdem die Mutter gestorben ist: Ich muss jetzt zum Training. Zitate aus dem Faktenkorb, der Datenmine. Gehörig stranger than fiction. Der wahre Satz als Faktotum. Mathematische Belletristik in französischer Tradition: Carrère’s Alles ist wahr enthält keinen einzigen erfundenen Satz. Ihn verbindet damit der Wunsch mit Kehlmann, die Wirklichkeit zu korrigieren, nachdem letzterer die Welt vermessen hatte. Den Satz, Wikipedia behaupte etwas über ihn, das frei erfunden sei (nämlich: dass er in einem Zeitungsartikel Eigenarten der Reggaeszene einfach erfunden habe), hat er widerrufen. Das war er sich schuldig. Überprüfer und Deuter, steht Kopf. Fakten sind soziale Interaktion. Es reicht völlig, dass ich Dich will. Thesenhaft ineinander verschraubte Aussagen. Buchstabensalat an modallogischem Dressing. 

Wie war’s gesagt, gemeint, gedacht? Mein Freund liess der zurückbleibenden Trauergemeinde Karten zukommen: Ich will der werden, der ich bin. Das grössere Wunder von Glavinic erscheint im gleichen Sommer. Darin lässt der schachspielende Literat den Protagonisten Jonas diesen Satz aussprechen. Drei Jahre später kommt der Jonas-Kompex. Ich bin immer nur der gewesen, der ich bin, entgegnet der Politverwandlungskünstler Horst. Sohn einer Nazifamilie mit jüdischer Abstammung; als Schulbub traumatisiert durch die Erkenntnis, aus Opportunismus FdJ-Gruppenchef geworden zu sein – die Augen öffnete ihm Vaters Selbsttötung. Nachdem er als junger Anwalt Gesinnungsgenossen wie Fritz Teufel, Rudi Dutschke erfolgreich verteidigt hatte, gründete er die RAF und war Regisseur der Baader-Befreiungsperformance. Fahndungskollagen Meiner-Bahnhofgruppe. Bald selbst inhaftiert brachte ihm sein Rechtsbeistand Otto Schily G.W.F. Hegels Gesamtwerk zur pfleglichen Lektüre. Als Genossen später Peter Lorenz entführten, um ihn und andere freizupressen, lehnte er seine Haftentlassung dankend ab mit der Begründung, dass ihn die von der KPD geführte Arbeiterklasse persönlich befreien werde.

Das Bundesverfassungsgericht stellte damals fest, dass das Deutsche Reich tatsächlich existiere, aber aus Mangel an Organen handlungsunfähig sei. Sein neuer Rechtsanwalt Gerhard Schröder erwirkt seine vorzeitige Entlassung und später die erneute Anwaltszulassung des nunmalig bekennenden Liberalen. Noch vor 9/11 tritt Horst der NPD bei. In seiner Presseerklärung dazu hieß es, er halte das Grundgesetz für ein „Provisorium für die Übergangszeit bis zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches“. Er verhinderte vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich das angestrebte NPD-Verbot und trat danach aus der parlamentsvernarrten Nazi-Partei aus. Nun schloss er sich den Holocaustgegnern an und drohte den republikanischen Richtern mit der Todesstrafe – wegen Hochverrat gemäss deutschem Reichsstrafgesetzbuch. Jetzt wird er psychiatrisch begutachtet, ein bisschen eingesperrt und die Anwaltslizenz annuliert. Der Hitlergruss, den er seinen Genossen bei Haftantritt bot, brachte ihm ein Zusatzjahr hinter Gittern. Zwischen den Stäben schiebt er Pamphlete nach. Holocaustleugnung als nominalistisches Denkduell, sekundiert von Juristen. Horst erstattet Strafanzeige gegen sich selbst und sagt dem Richter: Ich sitze hier, weil ich hier sitzen will. Es gibt keinen Irrealis. Ich vertraue nur einer Philosophie, die die elementaren religiösen Einsichten bestätigt. Das steht hier: