Die deutsche Ärztin hat ihre liebe Mühe damit, ihre schwarzhäutigen Patienten zu begreifen. Mit einer Mischung aus ratlosem Unverständnis und anteilnehmender wie rationaler Bewunderung stellt sie die afrikanische Psyche als schicksalergeben dar. Die Menschen würden ihre Krankheiten und Gebrechen geduldig hinnehmen, aber präventive Empfehlungen und kurative Anordnungen ebenso geduldig ignorieren. Das westliche Phasenmodell, das in der Medizin und der Managementlehre zur Bewältigung von Krankheiten und Krisen gelehrt wird, scheint in der sandigen Hitze dem Zerfall überlassen. Die junge Ärztin moniert fast zärtlich, diese Menschen hätten eben diese amor fati.
Der damit beschönigte Fatalismus der Hilfsbedürftigen ist für die christliche Helferschaft natürlich fatal. Selbst im Gesicht des Papstes zeigen sich nach seiner Afrikareise Züge von Ratlosigkeit, gerade wenn er die letzte Bastion der Keuschheit gegen das Kondom mimt. Über das Femidom schweigt er sich würdevoll aus, obwohl es statistisch doppelt so viele Schwangerschaften ermöglicht (Pearl-Index wie bei einer Vierzigjährigen kurz vor der Menopause). Werbetechnisch und präventionspolitisch breitenwirksame Verteilaktionen von Präservativen werden als Aufruf zur Unkeuschheit abgelehnt. ‚Schütze Deinen Nächsten wie Dich selbst‘ wird deshalb mit interessierten Passanten erst diskursiv aus christlicher Grundlage deduziert, bevor das Verhütungspaket mit der stilisierten Skyline der Luzerner Kirchen, überwölbt von einer regenbogenfarbenen Kondomerie, von der keuschen zur aufgeklärten Hand wechselt. Aufdruck: Vergesslichkeit ist übertragbar. Wer hat schon von seinen Eltern gehört, dass ihr Kind aus blosser Vergesslichkeit gezeugt wurde? Daran kann sich weder Vater noch Mutter erinnern.
Der vorchristliche Republikaner und stirngefurchte Vielschreiber Cicero war der fatalen Ansicht, dass es für einen Kranken sinnlos sei, einen Arzt aufzusuchen, weil von vorneherein feststehe, ob er wieder gesunde oder nicht. Cicero wurde erschlagen. Solch stoische Ignoranz wird heutzutage kaum jemand teilen wollen. Allerdings bildet sich fast unbemerkt in Kreisen von Medizinalfachleuten, Gesundheitspolitikern und Psychologen die Überzeugung, dass man in den meisten Fällen besser erst mal mit einem Arztbesuch zuwarte, um den Selbstheilungskräften die Möglichkeit einzuräumen, den Termin statt die Person hinfällig werden zu lassen. Dazu braucht man nicht gleich Quietist zu werden und in Gleichmut zu versinken, einige Zeit im Bett liegen zu bleiben genügt. Karenzfristen gelten für Erkrankung und Genesung gleichermassen.
Alles hat seinen Grund. Nichts ist Zufall. Mit diesen Worten werden Geschehnisse psychologisch überhöht, mit assoziativer Bedeutung aufgeladen und in sinngebende Zusammenhänge eingereiht. Diese esoterische Weisheit scheint das weibliche Pendant zum in der Männerwelt vorherrschenden kausalen Determinismus, der mit naturwissenschaftlicher Argumentation vorgetragen wird und meist ein böses Ende voraussagt. Beides ist grober Unfug und wird aus logisch-deterministische Gründen beidseitig mit einem gendergerechten Rauswurf aus unserem Sprachspiel bestraft. Im längst vergriffenen Brettspiel Schicksack wird die subjektive Reaktion auf äussere Ereignisse durch Zufallskärtchen gesteuert. Wir funktionieren eher umgekehrt. Das fatum oder Schicksal mit dem grammatisch neutralen Geschlecht ist nicht das passende Gegenstück zum Zufall. Jedem Zufall geht ein Abwurf voraus. Allerdings muss offen bleiben, wer das abwirft, was mir zufällt.
War in vor- und frühantiker Zeit das Schicksal eine undefinierte Himmelsmacht, die sich auch mal gütig stimmen liess, so wurde in den monotheistischen Religionen der göttliche Wille und seine Allmacht zum Fundament der theologischen Prädestination. Der Schicksalsglaube der Stoa wandelte sich bei den Hermetikern und Gnostikern zur Überzeugung, das irdische Schicksal überwinden zu können und die Erlösung in einem Jenseitigen zu finden. Die Anhänger der grossgewordenen christlichen Kirche räumten dann mit dem schicksalhaften Fatalismus auf und der Kirchenvater Augustinus verbannte das fatum aus dem Vokabular. Andere ersetzen das antike fatum durch den christlichen Gott oder durch den allmächtigen Willen Allahs. Calvin doppelte nach. Sola gratia, allein aus Gnade auserwählt Gott die Einen. Und aus seiner dualistischen Logik entsprang die doppelte Prädestination: Die Anderen sind zur ewigen Verdammnis vorherbestimmt. Auf jeden Fall gilt es, das Unausweichliche geduldig hinzunehmen. Wie die Kinderlosigkeit im Zeitalter der Reproduktionsmedizin.
Morgen wird Trump bei lebendigem Leibe eingemauert. Das ist keine Twitter-Polit-Trumpferei über den republikanische Präsidenten, sondern ein wahrer Aussagesatz. Die logischen Fatalisten würden abwarten, was morgen geschieht. Wenn dann morgen Trump eingemauert wird, so ist das zwingend notwendig und der Satz von gestern ist absolut wahr. Es wäre unlogisch, wenn man an die Möglichkeit denken würde, etwas anderes hätte sich ereignen können. Doch die Wahrheit ist zeitlos. Eine Aussage ist dann wahr, wenn sie logisch korrekt ist, meint Aristoteles. Er argumentierte gegen den logischen Fatalismus – den kausalen Determinismus hielt er nicht für diskussionswürdig. Er untersuchte mögliche Varianten der kategorischen Syllogismen und schuf damit die Basis der objektsprachlich-axiomatischen Modallogik, welche Leibniz die Erkenntnis ermöglichte, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben. Und ausgerechnet gegen Leibniz wurde der Vorwurf des Fatalismus erhoben, als das Wort im 18. Jahrhundert aus dem Englischen über das Französische eingedeutscht wurde und als Kampfbegriff der ganz Aufgeklärten gegen alle Abgeklärten in Mode kam.
Tatsächlich hatten auch die Stoiker die Bejahung der Weltordnung befürwortet, da man nur durch die Liebe zum Schicksal zur Ruhe komme. Die Formel der amor fati aber geht auf Nieztsche zurück, der damit das Ziel seines Philosophierens benannte: Ich will irgendwann einmal nur noch ein Ja-sagender sein. Aber das Ja-sagen zum Verhängnis ist ein durch und durch paradoxer Begriff. Auch wenn die Wahrheit paradox ist, muss man Gott nicht gleich totschreien. Nietzsches versuch, dionysisch im Dasein zu stehen, führte bekanntlich zum apathischen Liegen im Lehnstuhl. Wer Nietzsche zitiert, neigt leicht zur Überhöhung. Ob alles vorherbestimmt ist oder wir das Gegebene liebevoll akzeptieren macht den Unterschied zwischen Wahn und Wahrnehmung. Wir brauchen unseren Willen, um immer mal wieder die Folgerichtigkeit zu feiern.