Daheimimschlossgarten

Schnarren. Ein kreisender Milan. Leere Nester in den Rosetten der Turmspitzen. Die Sonnenseite des tausendgliedrigen Lebensbaumes flirrt. Rotgoldene Blütenpokale laden die schwankenden Falter zum Trunke. Schattige Mooskissen, trockengehärtete Nadelhecken und sirrende Blätterkronen grünen sich. Horizontale Giebelstufen ducken sich vor dem strahlenden Himmelswegweiser unter dem gewölkten Blass. Fensterkreuze strecken ihre verdorrten Arme von sich. Die fahlen Teichfische dicken nach. Sanft sieht die Tulpenmagnolie in den vor Algen blinden Wasserspiegel. Die randständige Eiche knorrt auf die Wiese als möchte sie ein biegsamer Grashalm sein, der vom Sturm sich streicheln lässt. Nur der Farn bleibt ritterlich und sittsam ruhig, im Schatten des Schlosses.

In roten Hosen brannten die Franzosen alles nieder, weil da kein Wein mehr war in der Vogtei. Am Flussufer unten war das Volk geblendet vom lichterloh brennenden Dachstock und die Frauen senkten den Blick, als die fuchtelnde Feuergestalt aus dem obersten Fenster stürzte, wie weiland in Konstanz und Prag, Verbrennung und Fenstersturz in einem. Die Bauern hielten diesen unseligen Vorfall für ihre Befreiung aus der Knechtschaft, doch in Wahrheit schwebt der Geist der Schlossherrin für immer über dem Park und holt sich nachts in den Träumen der Anreiner das, was diese nie hergeben wollen: Ihre Unschuld. Der Schlossgeist ist Missionsbraut und feiert in den Männerschädeln gottgewollte Hochzeit.

Unterhalb des magischen Quadrates aus dickstämmigen Platanen, beschattet von einer elefantenfüssigen, hier eingeborenen Blutbuche, döst der hergebrachte Pavillon. Liedertakte unter der Decke, eine Fermate im Spinnengewebe als Blicküberwachung. Gläser mit Tee aus Ostindien mit arabischem Sukkar. Über dem First tanzen Rosenblätter. Züchtige Sehnsucht, am späten Nachmittg auch mal Hysterie. Verse wie „Dich, Dich habe ich gesucht“ und „Oh Glück, das Du bescherst“ flattern an der Wetterfahenstange aus flammofenfrischem Schmiedeeisen.

Hacke und Rechen geschultert stapft der Schlossgärtner am frühen Nachmittag vom Gewächshaus abwärts und bleibt unter der Blutbuche stehen. Aus der Hauptstadt brachte er selbstgepflückte Dahliensamen mit, von dieser unglaublich roten Schönheit, der auserwählten Mutterpflanze – ohne dass er um Erlaubnis fragte. Aus den Samen der Roten erwuchsen dank achtfachem Chromosensatz und der vorher Vaterpflanzen besuchenden Bienen erst Gelbe, dann sprossen Weisse. Und die Farben mischten sich im dritten Jahr wie im Pavillon die bunte Gästeschar. Da schaut er hoch zur Wetterfahne, schickt seinen Gärtnergeist zum Damengeist und steigt seelenruhig ab zur Arbeit im kühlen Grottenwäldchen. Als sich sein Stellenantritt zum neunten Mal jährte, spürte er, wie sein Vorgänger in ihm lebendig wurde. Unter dem vielstämmigen Lebensbaum wurde ihm klar, dass alle Schlossgärtner, bis auf diesen ersten, welcher den giftigen Riesen aus einer von Amerika stammenden Samenkapsel gezogen hatte, in ihm weiterlebten. Sie alle waren eins. Seither verbringt Rüegseggers Geist die Siesta mit der ewigen Herrin des Schlosses.

Gemeinsam bammeln sie über die Kräuterbeete, die warme Luft um die Brust, kitzeln hochfliegende Sommervögel. Ihre Zeremonie beginnt über dem gelben Salbei, der hiesigen Züchtung, gewidmet und benannt nach dem Paar, das vor hundert Jahren das Schloss gekauft und der Kommune geschenkt hat. Nachdem es vor nochmals hundert Jahren durch die ferne Stadt an den reichen Salzhandelskommissar und Grossrat Sulzer verkauft wurde, welcher das Angebot der politischen Ortsgemeinde mit einem saftigen Aufschlag vom Tisch gewedelt hatte. Sein Sohn Fritz liess den Pavillon bauen und die Familie trat aus der Landeskirche aus. Als die letzte der von Sulzer im Schloss starb, versammelte sich die politische Gemeinde und beriet über einen Kauf. Nach dreimal gezählter Stimmengleichheit holte der Gemeindepräsident zum Stichentscheid aus und wuchtete das Schloss vom Hügel. Als Fredi, Sohn des lokalen Schlossers, der mit seinem Vater sonntags Gottesdienste im Schloss besucht hatte und sich dann im fernen Colombo selbständig und Geld mit Dünger gemacht hat, davon hörte, kaufte er das Schoss stellte es der Gemeinde zur Verfügung. Als er dann von der Absicht erfuhr, das Bezirksgericht und einige Beamte im Schloss einzuquartieren, öffnete er seine Brieftasche erneut und bezahlte den Umbau zur Golden-Age-Residenz. Seither blüht der gelbe Baur-Salbei in Ruhe neben der roten Pfirsichsalbei und der gegenblütigen Salvia aus den Höhen von Peru. Die Geister wiegen und wogen einander und sich; die Muskatellersalbei duftet ihnen blinzelnd zu. Das Ritual findet seinen Höhepunkt in berauschendem Tanz der Pelargonien, einer Duftorgie, welche den Geist ausdehnt bis an den äussersten Rand des Nichts. Erst Muskat und Pfefferminz, dann erfrischender Rosen- und Limonenduft, im Abgang Zimt und süssharzige Noten. Man streichelt sie, dann werden wir gestreichelt, lächelt der Gärtner.