Die Sternschnuppe

Am Tag des heiligen Laurentius schauen die gläubigen und gutinformierten Menschen im Kloster Ittingen hoch zu ihrem Schutzheiligen, spähen gen Himmel, erst spätnachts, die strenggläubigen genau zwischen Abend- und Morgengebet, nordostwärts, in Richtung Sternbild Perseus (bei den Griechen der Heroe göttlicher Abstammung mit dem Schwert in der einen Hand und dem Haupt der Medusa in der anderen). Der kanonheilige Laurentius ist Schutzpatron von Berufen, die mit offenem Feuer zu tun haben oder hatten: Köchen, Bierbrauern, Brandstiftern und Feuerwehrsleuten. Bei Hexenschuss und Ischias kann man ihn auch anrufen. Laurentius war Finanzchef des Papstes, wurde aber vom Kaiser Valerian verhaftet und schliesslich auf einem Rost ganz langsam gebraten. Laurentius hat den Kirchenschatz unter die Mitglieder der Christgemeinde und den Rest an Bedürftige verteilt, statt ihn dem Kaiser auszuhändigen. Seitdem wird Laurentius als Grillmeister dargestellt. Der Meteorstrom der Perseiden wird zu Tränen des Laurentius.

Dier Perseiden erreichen eine Intensität von achtzig Meteoren pro Stunde. Die kosmischen Teilchen treten mit 60 Km pro Sekunde in unsere Atmosphäre, die verglichen mit dem Weltall so viele – weltliche – Partikel enthält, dass die kosmischen Körper rotgeschmirgelt werden und verglühen (Umkehrprozess der solaren Ionisation; Rekombinationsleuchten!). Der perseide Meteorstrom seinerseits ist nicht als Staub eines riesigen Kometen, feste Bestandteile in dessen kosmischen Abgasen. Die Sternschnuppen trösten uns über das irdische Fest-Feuerwerk hinweg, dem etwas von einer vorpubertären Erektion anhaftet. Im russischen Ural ist vor drei Jahren ein Jahrhundert-Meteor in die Atmosphäre geraten und hat in den vereisten See ein Loch von sechs Metern Durchmesser geschlagen. Die Fenster im 80 Km entfernten Tscheljabinsk lagen in Scherbern auf den Strassen. Unerklärlich war das Ereignis in Tunguska, gut hundert Jahre früher; daraus entstand viel Literatur. Einen Krater von 180 Km hinterliess der Meteor, der im Norden von Yucatan niederging. Die Dinos auf der ganzen Welt lagen tot am Boden. Ein deutlich kleinerer Meteor schlug dann in der libyschen Wüste ein und tropfte danach als kosmisch-geologisches Glashybrid vom Himmel. Tutanchamum hat sich daraus einen Skarabäus machen lassen, den er bis ins Grab als Glücksbringer umklammerte. Der Käfer vermehrte sich nach dem Rückgang des Nils derart schnell, dass man davon ausgehen musste, dass sich diese Kot-Pillen-Dreher nicht fortpflanzten, sondern direkt von Gott aus dem Nilschlamm geschöpft wurden. Den antiken Griechen bescherte der Himmel auch einen heiligen kosmischen Brocken, den aber die Römer mit ihren fuhrwerkstechnischen Möglichkeiten mitlaufen liessen. Im Westen wird der schwarze Stein der Kaaba in Mekka als Meteorit gehandelt, die Muslime sagen aber, den habe Adam aus dem Paradies mitgenommen, andere sind der Ansicht, Erzengel Gabriel habe ihn Abraham in die Hand gedrückt, als er Adams Tempelchen restaurierte.

Meteoroiden sind vorwiegend interplanetare Teilchen, grösser als der sonnensystemische Staub, kleiner als Asteroiden, die ihrerseits auf einer keplerschen Umlaufbahn um die Sonne ziehen, aber kleiner als Kleinplaneten sind. Die Meteoroiden werden zum Meteor, wenn sie die Erdatmosphäre erreichen. Das Ursprungsmaterial von Sternschnuppen ist höchstens ein Millimeter gross, darüber spricht man als Astrologe von Boliden (Volksmund: Feuerkugeln, wurde später auf brennende Rennautos übertragen). Es braucht ein geschultes Auge, um da am Nachthimmel die kategoriale Grenze mit Sicherheit zu bestimmen. Bei Feuerkugeln funktionieren Wünsche nicht, da sollte man die Gelegenheit nutzen, die Verdauung zu unterstützen. Kometen sind wie Asteroiden Überreste aus der Entstehung des Sonnensystems, bestehen aus Staub, Eis, Stein. Kern und Koma bilden den Kopf des Kometen, der Rest ist Schweif. In den Mond krachte 1179 ein Komet, die Mönche von Canterbury schauten zu. Der Krater bekam später den Namen von Giordano Bruno, dem mönchischen Philosophen, der von der Kirche im Jahre 1600 den römischen Lokalbehörden übergeben wurden, welche die Bestrafung durch Verbrennung vollzogen (Giordano lachte den Henker aus: „Du Schisshas“!). Kometen bleiben meist am Himmel und beeinflussen die Menschen von oben. Das Kometenkind ist als biblisches Motiv bekannt und taucht auch in der Gegenwartsliteratur auf. Clemens Setz, der Jung-Kafka aus Graz, zeigt in seinem Roman Indigo einen Frakturtext mit gravierter Illustration seiner Kometenkindgeschichte als Hebel-Geschichte „Die Jüttnerin von Bonndorf“. Das Faksimile ist natürlich ein Fake. Immerhin wurde Bonndorf 1811 vor der Ankunft des Leibhaftigen, des teuflischen Faktenverdrehers, bewahrt.

Unten am Flussufer, etwas entfernt von dem malerischen, kaum beleuchteten Dörfchen, sieht man den Nachthimmel am klarsten. Am besten liegt man spätabends, nach ausgiebigem Blaue-Stunde-Trinken und reichlichem Abendmahl, am oberen Strandufer auf den Rücken und schliesst die Augen soweit, dass die Sterne nicht mehr blenden. Wenn Du in Begleitung bist, so lass Dich in wohliger Gemeinschaft nieder. Wenn jemand ruft: „Da, eine Sternschnuppe!“ und Du bist in Begleitung einer einzigen Person, so sag einfach: „Wünsch Dir was!“. Falls noch jemand bei Euch ist, halte auf jeden Fall Deinen Mund. Es gibt Menschen, die wünschen sich tatsächlich etwas, wenn sie eine Sternschnuppe erhaschen, die haben immer Instant-Wünsche dabei. Und hoffen, dass der Wunsch in Erfüllung gehen wird, weil sie wie Orgasmusverweigerer fähig sind, den Wunsch nicht gleich auszuplappern und damit zu versauen. Behalte den Nachthimmel im Auge und halte Ausschau nach der schönsten Schnuppe der Nacht; behalte das Geheimnis für dich, dass man den Augenkontakt mit der himmlischen Schnuppe für sich behält, wenn man Hoffnung hat. Aus der aufsehenerregenden Korrelation von Augenkontakt mit Sternschnuppen einerseits und zuversichtlichen Gegenwartsgefühlen andererseits lassen sich keine Kausalzusammenhänge ableiten, aber immerhin die Gewissheit, dass der Anblick einer meteorischen Himmelserscheinung objektiv schön ist und wahrscheinlich sogar beglückend wirkt. Der Rest ist schnuppe.

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