Lakhsige Herkunft

Was tun Menschen für Geld? Das ist die grosse Frage, welche die Manifesta aufwirft. Einen Regenwurm schlucken für 10 Rappen? Auf den Kopf springen für 20 Rappen? Betteln für einen Stutz? Nichtstun und Zinsen einsacken? Allerlei tun Menschen für Geld, keine Frage. Keine grosse auf jeden Fall, die Frage, zu welchen Menschen Geld hingeht. Woher das Geld kommt? Der Gemeinderat Zürich hat 5 Millionen bewilligt. Die Künstler erhalten ein mittleres Jahressalär für ihr Projekt. Aus 80 Tonnenn Klärschlamm gepresste Quader zeigt der Amerikaner Bouchet in der Kunsthalle, Zeichnungen weiblicher Orgasmen bei Selbstbefriedigung sind woanders zu sehen. Robert Menasse soll irgendwo oder überall sein Nichtstun spürbar machen. Wäre mein Riechvermögen intakt, würde ich mir bestimmt die vom Ami zwischengelagerte Zürcher Scheisse anschauen. Ich sympathisiere hörbar mit Menasse, kein bildender Künstler, ein gebildeter Schreiber.

Woher kommen wir? Was der Kunst Recht ist, ist der Philososphie vergnügliche Pflicht. Nach der Kunstausstellung fragen wir uns, wohin wir gehen, für einen Trunk natürlich, nicht am Lebensende. Wer wir sind, fragen wir uns morgens, wenn wir plötzlich im Spiegel des Badezimmers erscheinen. Woher wir kommen, wissen wir in etwa. Ich kenne Mutter und Vater; weiss, woher die Vorfahren stammen. Hauptwurzeln im voralpinen Weisstannen- und napfigen Emmental. Vom Bauernhof eben, der von immer neuen Generationen bewirtschaftet wurde und die Ahnen mit karger, dafür autochthoner Bionahrung versorgte. Die Knaben pressten Kuhmist zu kleinen Quadern. Die Mädchen besorgten irgendwas. Auf dem Üetliberg waren die keltischen Helvetier, ihr fryer Anführer Udo Kulm, mit denen hab ich wohl auch noch was zu tun. Dann kamen die Römer, aber das Lateinische passte nicht zur Limmat und auch nicht in die Höger. Früher waren irgendwelche Germanen da. Solche Germanen sind wir vielleicht immer noch. Als Germanen bezeichneten die Römer die Menschen, die nördlich ihres Reiches lebten: Die letzten Barbaren ausserhalb des Mittelmeer-Kulturkreises.

Aber das müssen wir nicht auf uns sitzen lassen. Wir sind ja eigentlich Indogermanen. Indogermanen sind jene, welche zur indogermanischen Sprachfamilie gehören, die halbe Welt also, von Island bis Java. Sanskrit spielt im Indogermanischen eine wichtige Rolle, weil es die besterhaltene vorantike Sprache in diesem Sprachraum ist. Noch heute wird im gesamten südasiatischen Raum Lakh als Zahlwort für 100’000 gebraucht, zum Teil auch in Ostafrika. Lakh ist Hindi und stammt aus dem Sanskrit (laksha). Das geht auf das ur-indogermanische loks zurück, was soviel heisst wie Lachs, der allseits beliebte Ess-Fisch, der früher auch im Rhein wimmelte. Die Bedeutung ist ursprünglich „unübersehbare Menge“. Auch in Alt-Ägypten gibt es eine Wasserlebewesen – Kaulquappen -, das so oft vorkommt, dass es der riesigen Zahl 100’000 Name und Hieroglyphe darbot. Eine Million sind 10 Lakh, 100 Lakh sind dann 1 Crore, eine Milliarde sind 10 Crore, geschrieben 10’00’00’000. Achtung: Im Iran entspricht 1 Crore gerade mal 500’000! Im indogermansichen Sprachraum ist der Umgang mit den 10er-Potenzen im Dezimalsystem wenig einheitlich.

Die ethymologische Verwandtschaft rund um das Lakh und den Lachs lieferte das kontinentaleuropäische Argument, dass die Ur-Indogermanen aus dem nördlichen Mitteleuropa stammen, nicht aus der eurasischen Steppe, wie man im Osten behauptet: In der Steppe gibt es keinen Lachs! Die heutigen Philologen stehen dem Lachsargument eher skeptisch gegenüber und sehen den Ursprung des Indogermanischen und der Indogermanen in der 6000 Jahre alten Kurgankultur, Halbnomaden-Völker mit Hügelgräbern im heute umkämpften Donbass. Diese These war ursprünglich verknüpft mit der Gleichsetzung von Indogermanen und Ariern, was Hitlers Vorstoss zur Wolga verständlich macht. Aber das Wort Arier stammt aus Asien: Iran ist das Land der Arier, auch die nordindischen Sprachen weisen das Wort auf. Als indoarische Sprachen werden heute alle nicht-drawidischen Sprach in Indien bezeichnet. Falsche Fährte.

Egal welcher Hypothese über den Ursprung und die Lokalisierung der Ur-Indogermanen man anhängt, alle gehen davon aus, dass sich Indogermanen vor gut 4000 Jahren mächtig ausgebreitet haben und so ihre Sprache in die Welt hinausgetragen haben. Das Vokabular und die grammatische Struktur stimmen im gesamten indogermanischen Sprachraum recht weitgehend überein. Die durch die kräftigen Indogermanen aufgemischten Völker haben das kulturelle Skelett der indogermanischen Sprache in ihre unverständlichen Idiome inkorporiert. Im Detail weiss man natürlich nicht, welche Indogermanen ausgewandert sind. Waren das junge Männer, welche ihre Sippen verliessen und von den Frauen von Island bis Südchina freudig und sexhungrig empfangen wurden, um die Völker gemäss den genetischen Gesetzen zu vermischen? Oder waren das ganze Sippen, die in alle Himmelsrichtungen ausser Norden strömten, sich weit weg neben anderen Stämmen niederliessen und Sippensex suchten? Seit unserer Zeitrechnung haben sich die Völker kaum vermischt. Meine Vorfahren lebten seit Jahrhunderten am einen Ort. Die Vermählung von geschlechtsreifem Nachwuchs war Grossfamilienpolitik. Mit Fremden ist man auf der ganzen Welt freundlich, aber mit Ihnen vermischt man sich nicht (ausser man gehört zur Herrscherelite und hat seine expansionspolitischen Gründe). Die indogermanische These wackelt vor der Erfahrung.

Die indogermanische Ursprache hat man in den letzten zweihundert Jahren weitgehend rekonstruiert, indem man eine Theorie der Sprachentwicklung als darwinsche Sprachevolution postulierte. Vor Schleichers erster Rekonstruktion hat man Sanskrit als Näherungsmodell der Ursprache verwendet. Nun aber hat man das Indogermanische als eigentliche Kunstsprache fertig kreiert. Dann folgert man logisch, dass diese Sprache auch gesprochen wurde, weil eine Hochsprache als reine Schriftsprache undenkbar ist (es liegen keinerlei schriftliche Zeugnisse vor!)  – das wäre Anti-Sanskrit. Nun wackelt die indogermanische These vor der Vernunft: Ein blosser Zirkelschluss. Es gibt keine indoeuropäische Ursprache. Unsere Urahnen sind Adam und Eva aus Afrika, die in den Alpentälern weiss geworden sind, zur besseren Tarnung im Winter. Wir sind keine Indogermanen. Nur in der deutschen Sprache gibt es dieses herkunftspolitische Kunst-Wort. Lachs aber schmeckt überall, Läck-so-guet, und diese Kunde hat sich schnell verbreitet.