Die beste aller möglichen Welten

Draussen regnet es ununterbrochen. Gutes Wetter, für die Triebe, das Blätterwerk und die heranreifenden Früchte. Unter dem Schirm lächelt der Bauer am Sonntag: Grüssgott, herrlich, hier zu spazieren! Der Liberalsozialist Fritz Schwarz, von dem neulich wieder mal zu lesen war, wuchs im wahren Glauben auf. Wahrer Glaube ist, hatte er im Katechismus gelernt, nicht bloss ein Fürwahrhalten all dessen, was der christliche Gott in seinem Wort hat geoffenbaret, sondern vielmehr ein gläubiges Vertrauen, Vertrauen auf eine Führung. Das habe nichts Fatalistisches, berichtet Schwarz, sondern sei eher ein „kräftiges und zuversichtliches Sich wehren“, ganz nach dem Motto: Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Im Emmental hatte man einen gewissen Wohlstand zu verteidigen und die Bauern zwangen wenige Jahre nach Leibniz‘ Geburt die Stadtberner Patrizier in die Knie, doch die eidgenössische Tagsatzung schickte dann Militär los. Die Emmentaler hielten weiterhin zu Luther und beteten, als nütze Arbeit nichts, und arbeiteten, als nütze Beten nichts. Die Landbevölkerung trug Holz, aber liess den lieben Gott kochen. Das geht heute nicht mehr. Ich habe eine Kiste Feuerholz nach Hause getragen und neben den Grill gestellt, aber kochen musste ich dann irgendwann doch selber. Wichtig sei, fasste Fritz mit einem Bibelvers zusammen, dass man den wahren Glauben bewahre, den Glauben, der durch die Liebe tätig ist. Egal, ob beschnitten oder unbeschnitten, wird im Galaterbrief, 5. Kapitel, vorangestellt, religions- und sexualpolitisch völlig korrekt.

Angesichts der Unfassbarkeit, ja Absurdität des eigenen Daseins kann man in gutem Glauben Atheist sein, weil es einfach unlogisch und darum logisch unwahr ist, einen allmächtigen und allgütigen Gott zu postulieren. Mein Mantra gegen die existentielle Erfahrung der pubertären Hirnumbauten fiel mir experimentell zu: „Gegen die Absurdität im Kopf nimm Butter und Gugelhopf.“ Mich hat niemand gefragt, ob ich gezeugt oder geboren werden würden wolle. Nachwuchs zu zeugen ist unverantwortlich und zynisch. Es gibt keinerlei Argumente für das Leben, schrieb Cioran, Wir reden hier von einer verfehlten Schöpfung, vom Nachteil, geboren zu sein, vom prinzipiellem Zerfall. Aber irgendwie spürt man noch den Sohn des jüdisch-orthodoxen Priesters: „Ohne den von Gott gegebenen Impuls würde das Bedürfnis, die Kette der Wesen zu verlängern, nicht bestehen, noch auch die Notwendigkeit, die Umtriebe des Fleisches zu unterschreiben. Jedes Gebären ist verdächtig; die Engel sind dazu glücklicherweise unfähig.“ Susan Sontag sieht in Cioran den „Nietzsche unserer Tage“. Cioran selbst hielt Nietzsche schliesslich für naiv und wenig mutig. Pessimisten sind auf den Vorteil aus, nur positive Überraschungen zu erleben. Oder zumindest keine Enttäuschungen. Statistisch ist allerdings offensichtlich, dass die Erlebnisergebnisse mit den entsprechenden Erwartungshaltungen stark positiv korrelieren. Lassen wir Psychologie und Biochemie aussen vor. Niemand leugnet das Leiden in und an der Welt. Nach den antiken Gesetzen der Logik ist es offensichtlich, dass es den einen allmächtigen und allgütigen Gott nicht gibt, denn seine unendliche Güte und sein mächtiger Wille würden logischerweise das Übel von der Welt pusten. Dieser antike Atheismus nahm nach Leibniz Fahrt auf und gehört heute zum abendländischen Allgemeinwissen.

Leibniz stellte diese Argumentation auf den Kopf, verteidigte die Idee der Allmacht und Allgüte Gottes als Axiom und führte so in seinem Buch ‚Theodizee‘ den Beweis, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben. Die Textsammlung war eine Auftragsarbeit für die Kurfürstin von Brandenburg, die um den Universalgelehrten buhlte. Leibniz hielt sich an alle Regeln der logischen Vernunft und fand für das reale Übel in der Welt auch argumentative Notwendigkeit und kausale Erklärung. Ich hege die Vermutung, dass Leibniz mit seinem Werklein die Adressatin zufriedenstellen wollte, in dem er sich ihrem personalisierten Gottesbild näherte und gleichzeitig die ganze Partitur von Syllogismen und deren schlüssiger Verknüpfung vorführte. In seinen metaphysischen Texten erscheint Gott als Urmonade, Die Monadologie, die Lehre vom Einen verbindet Gott mit allem, denn in allem ist eine Monade und jede Monade ist von Gott. Die Monade ist die kleinste Substanz, kleiner als das Atom. Die Monade ist des Körpers Vorstellung. Jede Monade ist in sich und spiegelt gleichzeitig das ganze Universum. Alle sind sie voneinander verschieden. Alle sind sie in Aristoteles‘ Sinn Entelechien, die ihre Ziele in sich haben, das Prinzip der Selbstverwirklichung. Theologie und Philosophie waren nur Denkaufgaben, Leibniz kümmerte sich um vieles andere. Er erfand die Staffelwalzenrechenmaschine, welche Multiplikationen und Divisionen ausführen konnte. Er setzte Gott als 1 und Nichts als 0 und begann damit zu rechnen: Er entwickelte die operativen Grundlagen des Binärsystems als universaler Computersprache. Er hat herausgefunden, dass die unendliche Rechnung mit Brüchen mit ungeraden Nennern mit alternierenden Subtraktion und Addition (1 – 1/3 + 1/5 – 1/7 + 1/9 …) gleich π/4 ist. Schön, oder? Leibniz wusste nicht, dass man das in Indien schon seit drei Jahrhunderten wusste. Leibniz hat die boolsche Verbandsordnung entdeckt und damit die heutige Suchmaschinenlogik. Er ist Vater der Modallogik, der Integral- und Differentialrechnung, also der Infinitesimalrechnung. Er machte paläontologische, historische, philologische Entdeckungen und Beweisführungen, entwickelte das Förderband und die Belüftungsanlage für den Bergbau und nahm die Evolutionstheorie vorneweg. Mit 26 Jahren schlug er dem französischen Sonnenkönig eine Art Kreuzzug gegen Ägypten vor, um ihn von seinen europäischen Kriegsabsichten abzubringen. Ludwig XIV. lehnte ab, aber mehr als hundert Jahre später setzte Napoleon den Plan als wissenschaftlicher Feldzug nach und gegen Ägypten um. Ein kluger Kopf der Frühaufklärung, er gilt heute als letztes Universalgenie. So möchte man ihm gerne Glauben schenken. Vielleicht ist unsere Welt doch die beste aller möglichen Welten, sie besitzt einen unermesslichen Reichtum von Momenten, sie prangt mit der grösstmöglichen Mannigfaltigkeit. Es ist die bestmögliche Welt, in der wir leben, nicht ihr bestmöglicher Zustand. Die Welt bietet unendliche Möglichkeiten, bietet auch die bestmögliche Möglichkeit und ist deshalb die bestmögliche Welt.

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