Theogonie, Troja: Schrott!

Die Geschichte von Gott ist die Geschichte der Menschwerdung als selbsterkennender Gottfindung oder als offensichtlicher Offenbarung – der Unterschied ist unentscheidbar, die Gegensätze werden zu einem Satz. Die vermeintliche Zweiheit ist das Eine. Das Subjekt verhält sich zum Objekt wie der Gedanke zum Gehirn. Geist ist ein physikalischer Zustand. Gott ist bei den Muselmenschen ein schwarzer Stein, wahrscheinlich vom Himmel gefallen. Meteoriten sind Morsezeichen aus dem astralen Frontallappen. Der auffälligste Meteorstrom heisst „die Perseiden“, weil er aus dem Sternbild des Perseus kommt, womit wir in der griechischen Mythologie bei einem Sohn von Gott Zeus sind, der aber eine Menschin zur Mutter hat. Ein Heros oder Held. Zeus war ein transkategorialer Sequenzhetero, in unserer abendländischen Ahnenreihe göttlichen Anfangs eine Schlüsselfigur der Menschwerdung.

Aber beginnen wir dort, wo das abendländische Denken, die Kunst, die Weisheit und die Liebe zur Weisheit herkommen. Athene, die Stadtgöttin von Athen und Schutzpatronin der Philosophie ist eine reine, unblutige Kopfgeburt. Zeus hat sie aus dem Kopf geboren, nachdem er seine Sexualpartnerin und Mutter von Athene verschlungen und verschluckt hatte, da ihm prophezeit wurde, der Nachwuchs würde Ärger bereiten. Zeus bekam Kopfschmerzen und als Gott fiel ihm nichts anderes ein, als Hephaistos zu rufen und ihn zu bitten, im den Kopf zu spalten, so dass das Übel entweichen könne. Aus dem aufgeschlagenen Schädel entschlüpfte Athene, in voller Rüstung, mit einem Wurfspeer bewaffnet und  heftige Kriegsrufe ausstossend. Mit dem Wurfspeer tötete sie versehentlich ihre Kampfspielpartnerin und Halbschwester Pallas, deren Name sie sich seither zugesellte. Athene wurde auf der Akropolis als Jungfrau und als Kriegerin verehrt. Sie ist die Schutzgöttin von Odysseus. Zeus‘ Schädel schloss sich wieder mit göttlicher Präzision, das Brummen und Hämmern im Kopf hatte sein Ende gefunden.

Am Anfang war das Chaos, der griechische Gegenbegriff zu Kosmos. Im Hebräischen entspricht dem Chaos das Tohuwabohu, in der deutschen Bibel heisst es später „wüst und leer“. Abkömmlinge des Chaos sind die Göttin der Erde, Gaia, die Finsternis Nyx, die Unterwelt Tartaros mit dem Gott der Unterwelt Erebos sowie der Gott der Liebe, Eros. Diese fünf sind zeitgleich aus dem Chaos entstanden. Gaia gebiert durch Eros den Himmel, Uranos, die Berge und das Meer, alles geschieht unbefleckt. Nyx und Erebos zeugen den luftigen Aither und Hemera, den Tag (kali mera, Griechenlandfreunde!). Uranos aus der Gaia zeugt dann mit der Gaja Titanen, Zyklopen und drei Hekatoncheiren, jeder von ihnen mit 50 Köpfen und 100 Händen. Da die Geschichte ziemlich dramatisch weitergeht, nehme ich an, dass sich Uranos und Gaia befleckt oder zumindest blutig vereint hatten. Göttlicher Inzest gebiert die Urgeschichte des Ödipus. Uranos will nichts wissen vom Nachwuchs und steckt seine Kinder in den Tartaros, doch Gaia stiftet den Titan Kronos an und drückt ihm das erste Metall, in Form einer Sense, in die Hand. Kronos entmannt auf ihren Rat seinen Vater, der neben Gaia nächtigt, mit der Sense und wirft das Glied ins Meer. Damit ist Kronos Herrscher der zweiten Göttergeneration. Aus dem Blut, das aus Uranos’ Glied auf Gaia fällt, entstehen die Giganten, die Erinnyen und Nymphen. Aus dem Samen des in den Pontos geschleuderten Gliedes wächst Aphrodite hervor. In Aphrodite, der Schaumgekrönten, bildet sich die himmlische Zeugungskraft zu dem vollkommenen Schönen. Sie war Auslöser des trojanischen Krieges, weil sie dem trojanischen Königssohn Paris die schöne Helena versprach.

Hesiod hat die Entstehungsgeschichte etwa sieben Jahrhunderte vor der christlichen Zeitrechnung in seiner Theogonie, von den Musen inspiriert, vorgetragen und aufgezeichnet. Diese älteste Quelle griechischer Literatur ist von Raoul Schrott neu übersetzt worden. In seinem Kommentar zeichnet Schrott den Transfer und die Assimilation der Musen und anderer Gottheiten aus dem assyrischen Raum ins griechische Böotien nach. Der Dichter und habilitierte Literaturwissenschafter Schrott hat das abendländische Bildungsbürgertum auf die Palme gebracht, als er an der Frankfurter Buchmesse 2008 seine eigene Ilias-Übersetzung vorstellte (in heutiger Sprache) und bemerkte, Homer sei kein schöpferischer Geist im westlichen Kleinasien gewesen, sondern ein griechischer Hofschreiber in Kilikien. Und Heinrich Schliemann habe am falschen Ort nach Troja gebuddelt, das echte UNESCO-Weltkulturerbe steht in Karatepe nahe der Nordost-Ecke unseres Meeres (hinreisen! Die Touristen bleiben im Irrtum). Die Geschichte der Ilias hat sind einige hundert Kilometer weiter östlich abgespielt, stellt Schrott fest. Das darf nicht wahr sein, dass wir und unsere Väter falsch unterrichtet worden sind, gesichertes abendländisches Wissen verhöhnt, unsere kulturelle Abstammung missachtet wird. Professoren der Archäologie, der Altphilologie und der Alt-Kulturgeschichte attestieren Raoul Schrott zwar unglaubliche Belesenheit und umfassende Kenntnisse der antiken Sprachen und Räume, können ihn nicht widerlegen, aber glauben ihm einfach nicht. Für das Abendland scheint Troja ein nachbiblischer Glaubenssatz und illusionärer Kulturschatz. Schrott ist eher zufällig auf das richtige Troja gestossen. Er hatte sich während der jahrelangen Übersetzungsarbeit an der Ilias mit neueren internationalen Veröffentlichungen der komparativen Literaturwissenschaft befasst und ist auf vielfache Bezüge zu assyrischen Texten und Verbindungen zur biblischen Genesis gestossen. Gräzisten und Assyriologen nehmen kaum Notiz voneinander, in der Literaturwissenschaft sind Okzident und Orient immer noch ideologisch und kulturell getrennt. Schrott hat dann einen Augenschein genommen und in Karatepe hunderte Details gefunden, die genau der Beschreibung von Troja und Umgebung entsprechen, aber im UNESCO-Troja gänzlich fehlen. Kein Zweifel also. Ich habe ein Interview mit Schrott vor Ort gesehen. Keinerlei Zweifel. Aber die Professoren werfen ihm vor, er sei etwas ausschweifend, mit argumentativen Zuspitzungen, einem Zug ins Schwärmerische und Spekulative. Ein Dichter eben, keiner von ihnen. Homer habe sich entmannen lassen, um den Posten als Schreiberling zu ergattern, meint dazu Schrott, was Eigenheiten seiner Erzählweise erkläre.

Hesiod und Homer bringen die ewig unsterblichen Götter und die Menschen zusammen, durch die Musen. Vernunft und Glaube bilden eine poetische Einheit. In dieser Zeit blühte das Denken der religiös-weltlichen Hochkulturen von China über Indien, Eurasien bis Südamerika. Gottesvorstellungen gewannen die Form von Literatur mit dem Potential zu heiligen Büchern. Karl Jaspers prägte für diese Zeit den Begriff Achsenzeit. Die Ewigkeit und die Zeit finden in Kronos ihren Ausdruck. Es geht nicht um die unaufhörliche Dauer, sondern um die Erfüllung des Augenblicks. „Eine Gewissheit vom Sein Gottes, mag sie noch so keimhaft und unfassbar sein, ist Voraussetzung, nicht Ergebnis des Philosophierens.“

Hinterlasse einen Kommentar