Gefühle werden positiv bewertet. Natürlich ist dieser Satz zu absolut. Es gibt auch solche, welche stolz darauf sind, keine Gefühle zu haben, weil sie diese mit ihrem Geist bezwingen. Und solche, welche stolz darauf sind, cool und gefühllos zu sein, weil die rationale Wahrheit eiskalt und geistlos ist. Gefühle werden in unserer medialen Gesellschaft zumindest meist positiv konnotiert, sei es formuliert oder interpretiert. Der Langstreckenläufer, der in den Armen seiner jungen Freundin weint, weil die Witterung es verhinderte, dass er das Olympia-Limit knacken konnte, zieht die Blicke auf sich. Wir hängen an der Gestik und Mimik der Torschützen. Die im Sport geforderten, miterlebten und gefeierten Emotionen sind der Grundkategorie Sieger versus Verlierer zuzuordnen. Der Sieger zeigt Freude, dankt vielleicht auch dem Herrgott mit dem Finger und bleibt bescheiden oder noch besser demütig und dankbar (Ist Demut ein Gefühl oder eine Idee? Oder gar eine Glaubensfrage?). Der Verlierer hat ein grösseres Reservoir und Repertoire an Gefühlen, die er erleben und zeigen kann: Wut, Trauer, Enttäuschung, Hass, Ärger, Rachelust, Scham, Schuldabweisung bis hin zu rationalen Floskeln und Coolness oder Gefühlskälte. Wir Zürcher sind da schon etwas neidisch auf die Basler, die wissen, wie man einen Schweizermeister-Titel feiert.
Vielleicht fühlen wir uns lebendiger mit Menschen, die ihre Emotionen zeigen. Wir können dann empathisch mithalten und mitschwingen, wenn die Emotionen positiv sind, oder argumentativ und analysierend dagegenhalten. Die Freude mehrt sich, wenn ein Lächeln sich dazugesellt, die Trauer kann das lindern (lindern ist transitiv und verlangt zwei Argumente: Das Lächeln wird hier Subjekt und Objekt). Emotionen oder Affekte sind allerdings etwas anderes als die psychologische Allerweltskategorie „Gefühle“, welche auch mentale Zustände, Ideen und Gedanken einschliessen. Wer sagt, dass er sich fühle wie ein lindenblütenverklebtes Cabriolet hat ein Ich-bin-ein-lindenblütenverklebtes-Cabriolet-Gefühl oder -Syndrom. Das kann man getrost in den Thesaurus der WHO-Klassifikationen aufnehmen, mit einer Ausprägungs-Skala von „Keine Symptome“ bis „Klebrige Haut“ mit „Cabrio-Gesicht“. Eine Emotion aber entsteht aus einer Erregung durch einen äusseren Reiz, und ist daher eine Affektion, das, worauf eingewirkt wurde im lateinischen Ursprungssinne. Die Römer brauchten dieses Wort allerdings auch, um das griechische „Pathos“ zu übersetzen, was neben Ethos und Logos als emotionaler Appell eines der klassischen Überzeugungsmittel in der Rhetorik war und üblicherweise mit „Leidenschaft“ übersetzt wird. Aber das ist psychologisch entweder ein metakognitiver Kraftakt, wenn man das als Selbststeigerungskompetenz betrachtet, oder biochemisches Ausserbewusstsein, wenn man darin erotische Konnotationen wahrnimmt.
Den Affekten und Emotionen liegen in objektiver Wirklichkeit Afferenz und Efferenz zu Grunde, eine biochemieelektrische und wahrscheinlich quantengesteuerte Interaktion von Nervenzellen, die untereinander irgendetwas austauschen und bildgebend feuern. Dabei wird a) in zuführend unterteilt, und e) in ausgehend. Sprachlogische Männchen und Weibchen. Im Hals gehen Wahrnehmungs- und Verarbeitungssystem ineinander über. Wehe dem, der Halsweh hat! Die Götter des Körpers und des Hirnis mögen ihn beschützen vor Dummheiten!
Die griechische Philosophie unterschied zwei Basisgefühle: Lust und Unlust. Alle anderen Gefühle sind davon abgeleitete Unterklassen. Aristoteles hat dann alles begrifflich analysiert und systematisiert und damit eine langwährende Ordnung im Sinne einer weitgehend dualen Systematik und Entweder-oder-Sprachlogik in das Abendland gebracht. Die christlichen Einwände betreffend der Rangfolge von Einigheit und Dreifaltigkeit konnte dem alten Griechen wenig anhaben. Aristoteles ist unser Zuchtmeister der Kognition. Darwin geht in seinen Fussstapfen, indem die Gesetze der Sprachlogik auf die Genesis übertragen werden. Behavourismus, aber auch spätere Methodikimperative wie Empirie, Pragmatik, Theoretik sind Folgesysteme in der als Wissenschaft bezeichneten Erkenntnis- und Textform. Wahre Literatur ist das nicht.
Grundemotionen scheinen eine mimische Spiegelung, objektiv, körperlich. Grundkategorie der folgenden Handlung: Flucht oder Angriff beim Männchen, beim Weibchen sich interessiert nähern oder abwenden. Manchmal sind die Rollen auch vertauscht. Freude und Trauer, sowie Überraschung und Furcht gelten als kulturunabhängige Emotionen. Da hätten wir zwei Gegensatzpaare. Ein zweidimensionales System. Das wurde dann ausgeweitet in mathematisch höhere Kategorien, Verdoppelungen, Verdreifachungen, Potenzierungen, exponenziale und differentiale Beschreibungen bis zur infinalen Empirie. Nach heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis unterscheidet man in Europa die Basisemotionen Freude, Interesse-Neugier, Überraschung, Ekel, Ärger, Traurigkeit, Furcht, Scham und Schuld. Der abendländisch-christliche Kanon des Leidens ist wohl darauf zurückzuführen, dass der Emotions-Guru Martin Domes an der Frankfurter Uni als Psychoanalytiker zuerst Soziologie studiert hat und darum eher empirischer Forschung zugetan ist. Einer dieser Kategorien würden bestimmt 90% der Pendlerinnen und Pendler zustimmen, wenn man „Interesse-Neugier“ durch „Langeweile“ ersetzen würde.
Emotionale Intelligenz ist seit gut zwanzig Jahren ein geläufiger Begriff, der gerne gebraucht wird, um ihn der kognitiven Intelligenz gegenüberzustellen und meist auch darüberzustellen. Alleswisser, Nichtsvergesser, Immernachdenker können ganz hilfreich sein, aber der Stil, wie sie sich geben und wie ich behandelt werde, prägt die Qualität meiner mitmenschlichen Verbindung. Ein gescheites Haus zu sein ist noch keine menschliche Qualität, es kommt darauf an, wer darin wohnt. Ein gescheites Haus anzusehen aber ist weit angenehmer als in ein dummes Loch zu starren. Der Feldzug gegen die kognitive Intelligenz wird durch die Dummheit angeführt. Der pädagogische Lebensimperativ heisst dich, eine Emotion zu haben, deine Emotion wie auch immer auszudrücken, zu beobachten, was du für Eindrücke hinterlässt, dann wieder deine Emotion auszudrücken und so weiter. Dabeisein, Kommunikation machen. Ist es nicht wundervoll, wieviele Emoticons es gibt?
Die Psychologen sind da weiter. Emotionale Intelligenz ist unterdessen genauso ausgemessen wie der IQ. Und die Anbieter von EQ-Tests sind stolz darauf, dass die beiden Quotienten weder auf der individuellen noch auf der gesellschaftlichen Ebene korrelieren. Der wahre Grund dafür ist, dass Leute mit hohem IQ meist die EQ-Tests korrigieren und die Statistik irreführen, indem sie nicht die pädagogisch nahegelegte Antwort ankreuzen, sondern den ganzen Fragebogen nach einem rein rechnerischen Formsystem ausfüllen. Wie gläubige Ästheten ihren Lottozettel.
Angefangen hat der aktuelle Begriffsschlamassel mit dem EQ-Bestseller. Das Buch hat ein Journalist und guter Schreiberling verfasst, der von der Sache wenig verstand, kognitiv und so. Die Emotionstheorie, die dahintersteckt, ist ganz einleuchtend: Du sollst die Emotionen von daseienden oder kooperierenden Individuen wahrnehmen und erkennen, um selber gut kooperieren zu können und dazusein. Du sollst Bescheid wissen über die Zusammenhänge von Emotionen zwischen Menschen einerseits und zwischen Emotion und Gedanke sowie gedanklichen Fähigkeiten andererseits, so dass Du vorhandene Emotion und gedanliches Zutun selber abmischen kannst. Drittens solltest Du die Emotion analysieren, um deren Veränderbarkeit sicher einzuschätzen. Viertens und letztendlich geht es darum, deine Emotionen zu beinflussen, so wie es dir passt. Wenn Du das auch ganz rational mit Deiner Kognition bewältigen willst, kannst du deine Gefühle an deinen individuellen Zielen und Wünschen ausrichten, mit deinem Selbstbild und dem sozialen Bewusstsein in Übereinstimmung bringen, indem Du entweder Gefühle vermeidest oder deren Bewertungen korrigierst. Alle diese emotional glaubwürdigen Gebote beschreiben kognitive Akte. Wer seinen EQ verbessern will, muss seinen IQ stärken. Da ist mir jetzt natürlich etwas Emotion eingerutscht, aber vielleicht gefällt das ja.