Ohne Schlachten keine Hochzeit. Ein gern und oft gesprochenes Wort auf Kreta. Vielleicht aus der Zeit der osmanischen Herrschaft – der Prophet empfahl Schaffleisch zum Hochzeitsmahl. Die Bluttat geht der Vermählung voraus. Ich weiss nicht mehr, warum ich das Buch gesucht und gekauft habe. Warum ich es gelesen habe, weiss ich jetzt. Es wurde von einem Mann geschrieben, der seine Geschichte erzählt, Am 26. April jährt sich die Geschichte. Generalmajor Heinrich Kreipe, Kommandant der deutschen Wehrmacht auf Kreta, wurde an diesem Tag im Jahre 1944 von zwei Briten und einigen Kretern entführt. 1952 wurde die Geschichte als Buch, zwei Jahre später als Film publik. Autor war Moss, ein junger englischer Offizier, der an der Entführung beteiligt war. Sein Vorgesetzter war sein Landsmann Fermor, ein gebildeter Geheimdienstoffizier und weitgereister Griechenlandliebhaber. Nachdem Moss gestorben war, brachte Fermor seine Version zu Papier. Sie ist neulich in Buchform, auch auf Deutsch, veröffentlicht worden, kurze Zeit nach Fermors Tod.
28 Jahre nach der Entführung sehen sich Fermor und Kreipe zum ersten und letzten Mal wieder, im Studio des griechischen Fernsehens. Das war 1972. In diesem Jahre bin ich zum ersten Mal nach Kreta gereist. Ich war so beeindruckt, dass ich in den Folgesommern immer wieder nach Kreta fuhr, mit der Eisenbahn über Italien oder Jugoslawien nach Athen, dann mit der Fähre von Piräus in einen der kretischen Häfen. Mir hatten es die kretischen Männer angetan. Kniehohe enge Lederstiefel, Pluderhosen, schwarzes Hemd, ein Tuch um die Hüfte geschlungen. Mächtige Schnauzbärte, sonnengegerbte Haut, ein Fransentuch um den Kopf. Beim nächsten Besuch hinterliess ich bei der Ankunft in Chania meine Fussabdrücke bei einem Schuhmacher, so dass ich vor der Abreise massgefertigte Stiefel abholen konnte. Die Kreter sassen in stoischer Ruhe auf der Strasse oder gestikulierend am Spieltisch, rauchten und tranken, und wenn man einen nach seinem Namen fragte, hiess der Sophokles. Fermor und Moss trugen kretische Kleidung, bevor sie Kreipe entführten. Fermor sprach fliessend griechisch, vor Ort gelernt, der jüngere Moss musste den Mund halten.
Im Athener Studio sassen neben dem Moderator und Fermor einige gutgelaunte griechische Zeitzeugen und plauderten gestikulierend vor der Kamera. Dann wurde der zwanzig Jahre ältere Kreipe hinzugeführt. Von einem Mann, der ihn mit beiden Händen am Oberarm hielt und eng begleitete. Führt man so einen Gefangenen dem Richter vor oder macht man das aus Höflichkeit mit älteren Menschen? Der Mann wusste es wohl selber nicht. Fermor streckte ihm als erster die Hand hin und war gleich in der Rolle des Gastgebers. Der Moderator im Beatle style fragte Fermor, was Kreipe gesagt habe, nachdem diese beiden kurz in deutscher Sprache ihre Standpunkte klargemacht hatten: Kreipe befand, Fermor hätte sichtlich gealtert, Fermor versicherte Kreipe, er sehe genauso gut aus wie ehedem. Kreipe aber bekannte, dass die Beine etwas müde geworden waren. Fermor war der einzige im Studio, der nicht nur die griechische Sprache beherrschte. So war er völlig unerwartet als Dolmetscher gefordert, auf dass er griechisch wie deutsch nur noch stammelte. Der Moderator redete griechisch auf Kreipe ein, der freundlich lächelte. Fermor versuchte den Sinn wiederzugeben, irgendwas mit lange her, lange verziehen oder vergessen. Kreipe weiss schon, was gemeint ist, und antwortet mit einem knappen: „Darum sind wir hier!“. Nun versucht Fermor, dem Moderator und den anderen Gästen klar zu machen, was dieses kurze Staccato sinngemäss zu bedeuten hätte und er redet so lange, bis endlich alle klatschen. Nun gibt es Musik. Alle stehen auf. Niemand beginnt ein Tänzchen. Irgendwie ist’s peinlich.
Wir hatten schnell kapiert, dass es auf Kreta völlig ok war, deutsch zu reden, aber besser, nicht Deutscher zu sein. Wir Schweizer haben immerhin die griechischen Freiheitskämpfer von 1830 unterstützt. Die Deutschen kamen 1941 per Fallschirm und liessen bekanntmachen, dass jeder tote Deutsche die Erschiessung von 10 Griechen nach sich ziehe. In jedem Dorf fanden wir einen Einheimischen, der fliessend Deutsch redete und uns bei Verständigungsschwierigkeiten behilflich war. Einmal reisten wir in einer Gruppe von acht Jungs nach Kreta. Wir übernachteten im Freien oder unter Wirtshaustischen. Wir warteten viel, weil einer nicht da war oder weggeschickt wurde, um eine Erkundung zu machen. Wir spielten viel. Wir tranken viel, Wir lachten viel. Auf die Idee, einen General zu entführen, kamen wir nicht. Zu Hause trugen wir manchmal Militärjacken, die wir mit Aufschriften oder Ansteckern versahen, um dem fragenden Auge unsere Kriegsabscheu kundzutun.
Fermor und Moss trugen deutsche Militäruniform bei und einige Zeit nach der Entführung. Fermor sprach auch fliessend Deutsch. Moss wechselte mit dem gefangenen General in den folgenden Wochen nur einige oberflächliche Worte in Französisch. Die beiden Engländer stoppten zusammen mit einigen einheimischen Freunden und Helfern den Wagen des Generals, rissen Kreipe und den Fahrer aus dem Wagen, fesselten den verdutzten General und hielten ihm auf dem Hintersitz das Messer an die Gurgel, während Fermor den Generalshut aufsetzte und auf dem noch warmen Beifahrersitz Platz nahm. Der deutsche Fahrer wurde später getötet und seine Leiche versteckt, weil der völlig Benommene kaum gehen konnte und auf der Flucht nur hinderlich war. Fermors befreundete Partisanen hatten seine Gegenwehr mit einer Schlagwaffe, genannt Totschläger, unmöglich gemacht.
Moss als neuer Fahrer hatte seinen Spass, an der Villa Ariadne, dem schwerbewaffneten Wohnsitz des Generals, vorbeizufahren und das Erstaunen darüber förmlich zu greifen, dass der kräftigste und mit Standarten besetzte Opel nicht in den Hof einfuhr. Die Villa Ariadne liess der Engländer Arthur Evans bauen, der gleich nebenan die Ausgrabungen in Knossos leitete. In der Nähe des Entführungsortes gibt es ein Museum. Dort kann man einen alten Mercedes fotographieren, auf dem das Entführungsdatum und in lateinischen Buchstaben „Kraipe“ geschrieben steht. Den Opel des Generals liessen die Entführer auf der Flucht als falsche Fährte stehen, versehen mit schriftlichen Belehrungen für den Feind über angemessenes Verhalten nach einer Entführung unter britischem Kommando. Die Entführer mussten samt dem deutschen General weit und hoch über das schneebedeckte Ida-Gebirge, um hoffentlich von der Südküste per Schiff nach Kairo zu gelangen.
Einiges ist dumm gelaufen bei diese abenteuerlichen Heldentat. Eigentlich sollte Müller (Friedrich-Wilhelm) entführt werden, der seit der Besetzung Oberkommandant war und „der Schlächter“ genannt wurde. Müller kehrte nach Kreipes Entführung auf seinen Posten zurück, wurde schliesslich von den Briten festgenommen und dann von einem griechischen Gericht wegen seiner Greueltaten auf Kreta zum Tode verurteilt und erschossen. Kreipe wurde nach seiner Internierung in England mit der Diagnose „einfallsloser Gegner des NS-Regimes und schwacher Charakter“ nach Deutschland zurückgeschickt, wo er in Hannover – mit Ausnahme der besagten Athenreise – völlig zurückgezogen sein Leben zu Ende lebte. Die deutschen Führungszeugnisse waren alle exzellent („starke, energische Persönlichkeit von festem Charakter“). Kreipe war das dreizehnte Kind eines protestantischen Pfarrers und Berufssoldat. Fermor erzählte er manche Anekdote aus dem ersten Weltkrieg, der ihm besser als der zweite gefallen hatte. Kreipe und Fermor respektierten sich, weil sie die gleichen lateinischen Verse von Horaz auswendig gelernt hatten. Die BBC leistete sich einen Patzer, in dem sie die Meldung der Entführung mit dem Zusatz versah, dass der General von der Insel fortgeschafft werde, statt wie vereinbart „fortgeschafft wurde“ zu schreiben. In den niederen Rängen der deutschen Soldaten fast soviel Grinsen und Spotten über den entführten General wie bei den Einheimischen. Kreipes Adjutant wurde der Mittäterschaft beschuldigt und eingesperrt, was wiederum Kreipes Hohn heraufbeschwor: „Ein vollkommener Dummkopf“. Bei den Entführern war der General nicht beliebt, auch wenn man grössten Wert auf korrekte und dem Rang entsprechende militärische Ehrenbehandlung legte. Als es darum ging, die Deutschen mit einem kleinen Gefecht in die Irre zu leiten, wollte niemand auf den General aufpassen. Der Vorschlag fiel, die Würfel entscheiden zu lassen. Schliesslich rollten sie einen Riesenstein vor das Höhlenversteck, so dass alle an der Schiesserei teilnehmen konnten. Der General seinerseits schloss den kretischen Bewacher so ins Herz, dass dieser überzeugt war, er wolle flüchten. Kreipe fiel einmal vom Maultier und zweimal den Hang hinunter, sonst habe er sich ordentlich benommen. Auf dem Fluchtweg legten sich alle auf den Bauch und tranken aus einer kühlen Quelle Wasser, das unsterblich macht. Dem General wurde ein Becher gereicht und er wollte gleich noch einen. Seitdem fühlte er sich dem Feind noch mehr verbunden. Tagelang nachts unterwegs, tagsüber in Höhlen versteckt, manchmal mit einheimischem Besuch, so dass mit Raki und Tanz gefeiert wurde. Wenn das Glück auf ihrer Seite stand, riefen sie auf Griechisch „Gott existiert!“. Fermor bekommt jetzt körperliche Probleme, ein Arm wird fast unbeweglich. In Kairo wird er ins Krankenhaus kommen, weitgehend gelähmt. Nach drei Monaten ist der Spuk vorbei, die Ärzte zucken mit den Achseln. Moss und Fermor freuen sich auf die Offiziersmesse auf dem Schiff, Pink Gin, vielleicht Champagner. Vorerst sitzen sie aber alle noch am Ufer und zerbrechen sich den Kopf, weil niemand die Morsezeichen kennt für die vereinbarten Buchstaben, welche sie als Erkennungszeichen aussenden sollen. Das englische Schiff reagiert auf ihren optischen Dilletantismus nicht. In letzter Minute taucht einer auf, welcher den Morsecode kennt und die ganze Sache landet wie erhofft auf dem Wasser.
Die eine Bluttat findet sich in Fermors Schilderung nicht, aber im Anhang findet sich sein Original-Bericht an vorgesetzte Stelle. Fermor, der in einem Nachruf als charmante und gutaussehende Mischung von Byron und Bond beschrieben wird, hat aus Versehen seinen besten Freund Sancho erschossen, aus nächster Nähe. Sancho sass am Boden und packte seinen Sachen. Das Bein zweimal durchschossen und dann die Hüfte, mit einer Kugel, sechs Wunden, ohne viel Blutverlust, aber mit Todesfolge innert einer Stunde. „Bevor er starb, sprach er einige sehr freundliche Worte zu mir, die ich nie vergessen werde“, steht in Fermors Bericht. Anschliessend tat die ganze Gesellschaft einen feierlichen Schwur, hic et ubique, und auch die Version mit einem deutschen Schützen sollte selbst Sanchos Familie erst bekannt gemacht werden, wenn Fermor das Zeichen dazu gibt. Einige Monate zuvor hatte Sancho aus Versehen wenige Zentimeter an Fermor vorbeigeschossen. Auch damals nahmen das alle sehr gelassen. „Ich konnte und kann das nicht so sehen“, berichtete Fermor nach Kairo. In Kreta soll es immer noch deutlich mehr Schusswaffen als Einwohner geben, bei jeder Gelegenheit wird geknallt, aus einer gewissen Tradition. Insbesondere bei Hochzeiten ist balllern beliebter als böllern, und sowieso wird vorher geschlachtet.