Grundloses Bindungsübereinkommen

Ich bin gottenfroh, dem Abstimmungshype wegen der Durchsetzungsinitiative durch Auslandaufenthalt entgangen zu sein. Mir war klar, dass dieser Verfassungstext vom schweizer Stimmvolk als schlechte Literatur taxiert wird. Die Medien und einige Facebook-Friends waren in der Vorweihnachtszeit gegenteiliger Meinung und drohten den Abstimmungsabstinenzlern mit fahrlässiger Menschenrechtsverletzung. Eine diskriminierende Haltung, Secondos und Secondas als Ausländer zu behandeln und zu bezeichnen. Auch wenn diese es verpassten oder aus mir unbekannten Gründen sich dagegen entschieden, den Schweizer Pass zu bestellen und mehr oder weniger stolze Ausländer sind. Ich bin also gottenfroh, in der Bedeutung „herzlich froh, äusserst erleichtert“, dass ich mich wegen meinem zunehmenden politischen Desinteresse nicht dumm anmachen lassen musste.

Der Ausdruck „gottenfroh“ ist nur in der Schweiz gebräuchlich; Roger Federer hat seinen mentalen Zustand vor kurzem so bezeichnet. Die Deutschen sagen nicht etwa „tantenfroh“, sondern „gottfroh“, meinen damit aber das gleiche wie die Schweizer, einfach weniger familiär. Die Deutschen sind natürlich gottfroh über das Ergebnis der Gotthardabstimmung, welches meinerseits bedeutete, dass da nicht nur, aber auch meine Stimme gefehlt hat. Bin mal kurz weg, und die beschliessen, den Alpenkamm zu perforieren. Na gut, vielleicht ist die Sache doch nicht so richtig wichtig.
Die schönste aller Abstimmungen in meiner Stimmrechtskarriere war die GSoA-Initiative. Wirklich schade, dass die Armee nicht beim ersten Anlauf aus dem staatspolitischen Machtportfolio gestrichen wurde. Obwohl ja der langfristige Trend zu einer globalen Polizei unübersehbar ist. Zur Zeit läuft die Meinungsbildung zur Initiative „bedingungloses Grundeinkommen“. Eine Meinungsumfrage stellte fest, dass die Generation Y, also die jüngsten Stimmberechtigten bis etwa 35 Jahre, der Meinung sind, dass der Systemwechsel zum staatlich garantierten Grundeinkommen sowieso komme. Tatsächlich nehmen die Anhänger dieser Idee zu; für einige ist das der Rettungsring für den Liberalismus oder den Kapitalismus, für andere entsteht das Reich der sozialen Freiheit. In den frühen 80ern und in den Geburtsjahren der Generation Y haftete der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens gleichzeitig etwas Anarchistisches wie Akademisches an. Jetzt ist das Thema in der Realpolitik angekommen.
Ein Freund von mir hat sich stark für das Anliegen engagiert. Ich werde aus Solidarität mit ihm ein Ja zu dieser Initiative einlegen, obwohl ich das Ziel nicht für erstrebenswert halte. Ein Sympathie-Ja zu einem heute chancenlosen Vorstoss. Freiheit vom institutionellen Arbeitszwang wird mit dem Grundeinkommen verbunden, mehr frei verfügbare Zeit, Abschaffung der Sozialbürokratie, weniger Stress und mehr Selbstbestimmung, Überwindung von Kapitalismus und Sozialismus durch Freiheit statt Vollbeschäftigung. Die Köpfe hinter der Initiative sind klug und verstehen etwas von Technologie, aber sind echte Humanisten und stehen in einer soziallibertären Tradition. Die Kampagne gefällt mir. Echt happeningmässig, wie Tonnen Fünfräppler auf den Bundesplatz gekippt oder Zehnernötli an Pendler verteilt wurden. Das erinnerte mich an meine frühpubertäre ABA (Aktion für bessere Autos): Ich klebte Fünfräppler auf kleine Flugblätter, welche die Mikrospende als Beitrag an ein besseres Auto deklarierten. Und klemmte die gelben Zettel unter die Scheibenwischer der grössten Karossen vor dem teuersten Gasthof. Und ich sehe Jerry Rubin vor mir, wie er im Börsensaal eine Dollarnote raucht und einen Sack voll Banknoten in den Handelssaal hinunterkippt. Rubins Kultbuch heisst „Do it“. Später wurde er mit Apple-Aktien reich und vor seiner Haustür von einem Auto überfahren.
Das mit dem Geld ist so eine Sache. Wo Geld im Spiel ist, geht es nicht mit rechten Dingen zu und her. So denn auch auf der ökonomischen und finanziellen Seite des Grundeinkommens. Die Liberalen rechnen so, dass bei der neuen Auszahlungsart nach Abschaffung aller Sozialversicherungen und Unterstützungsleistungen noch etwas in der Kasse liegen bleibt. Die Schweizer Initianten hingegen reden von einem Grundeinkommen von Fr. 2’500.- pro Monat und einem jährlichen Finanzbedarf von 25 Milliarden. Der Bundesrat hat neulich seine Abstimmungsdokumentation aktualisiert und statt der selber errechneten Lücke von 153 Milliarden die vergleichsweise bescheidene Summe der Initianten übernommen. Das Problem besteht darin, dass das monatliche Grundeinkommen einen politisch nicht vertretenen Teil der Bevölkerung tief in der Armut gefangen hält und gleichzeitig die finanzielle Knebelung der ganzen Gesellschaft vorantreibt. Die Grünen sind für zusätzliche Mehrwertbesteuerung, der universellen Ökosteuer. Der ehemalige Bundesratssprecher Sigg, der die Initiative begleitet, schlägt eine neue Mikrosteuer vor. Eine Finanztransaktionssteuer, wie sie die linken Franzosen schon lange wollen, aber noch maschineller, so dass auch der Hochfrequenzhandel besteuert werden kann. Wir sind da im Bereich von deutlich weniger als einem Promille, das bei allen Finanztransaktionen abgezwackt werden soll. Tut niemandem weh. Aber gibt ein neues Problem: Die Finanzierung der Grundlebenskosten der Menschen ist direkt abhängig vom Transaktionsvolumen der Finanzwelt. Das ist nicht nur aufwändig zu kontrollieren, sondern auch ein chaotisches auf und ab. Die Besitzlosen kriegen Schiss vor einem Börsencrash. Sie sind die Würmchen im kapitalen Anus. Die Höhe des Grundeinkommens steht immer in der politischen Diskussion um das Existenzminimum.

Um die Virtualität der Finanzierung des Grundeinkommens etwas abzuschwächen, könnte existentieller über den Grundbedarf geredet werden. Jeder Mensch sollte nach Möglichkeiten für sich selber sorgen können. Dafür braucht er Grund und seine Arbeitskraft. Der Staat könnte jedem Einwohner eine Fläche von 200 m2 Kulturland zur individuellen Nutzung überlassen, mit der Möglichkeit zur marktgerechten Drittüberlassung. Gleichzeitig die Vorschriften für sogenannte Kleingärten etwas lockern. Die Individualterritorien würden etwa einen Drittel des heutigen Kulturlandes ausmachen, der Rest und die Pachtflächen könnten von Grossbauern weiterbewirtschaftet werden. Ja, die Gartensaison hat begonnen.

Das Meer liegt richtig

Bin ich von Suchmaschinen umzingelt? Im Dezember schrieb ich letztmals hier, thematisch über Lesen und Glauben (als getaufter Protestant nehme ich an, dass die Zusammenfassung „Lesen-und-Glauben“ aus meinen nackten Kinderfüssen den ganzen Weg der Nervenbahnen durchlief, um mir die Erinnerung hervorzufrufen, wie ich im Elternhaus als Bengel auf dem Klo sass und enttäuscht fesstellte, dass die langweilige Kirchenzeitschrift „Leben und Glauben“ die einzige Lektüremöglichkeit war). Seitdem verzeichnet die stats-site meines Blogs fast täglich mehrere Zugriffe und mehrfache Aufrufe.

Meine Reise schliesst direkt an den letzten hier publizierten Text zum Thema Lesen und Glauben an. Ich habe meinen flugzeugkabinentauglichen Rollkoffer mit Büchern gefüllt, im Grossgepäck waren Boulekugeln, Campari für mich sowie Schokolade für die dort, alles in ein paar Kleidungsstücke eingewickelt. Dort hab ich dann da alle meine Bücher gelesen, meist nachmittags, auf dem Tagesbett, zum Seitenblättern ein Deckenventilator mit einem stufenlosen Rotationsgeschwindigkeits-Drehregler, alles andere war mehr oder weniger Glaubenssache. Beim lesen merkt man weniger, wie dick und dicht Glaubensfeinstoffe in der Luft schweben. Als Vergleich könnte ich anführen: Die kleinsten Teilchen dieser philosophischen Substanz lagen wie ich auf dem Rücken, ein Arm jogamässig im Nacken, lasen aber heilige Texte. Meine waren profan und mussten von mir mehrheitlich schlechte Bewertungen vergewärtigen.

Aber wem erzähl ich das? Was soll da eine Suchmaschine mitnehmen und zurückmelden? Was kann sich jemand erhoffen, ausser einem gutgemeinten Scherz. Die maschinelle Lesung liefert Trockenfutter in die Dürre. Grunsätzlich ist Schreiben ein Widerspruch in sich. Man kann nicht von oder über sich selbst schreiben, weil wir uns selbst nicht objektivieren können. Man kann aber auch nicht nicht von sich schreiben, weil es keinen direkten Zugang zur Objektivität gibt. Wir sind so etwas wie der Spiegelsaal selbst, und manchmal sind wir der Besucher, der in der Mitte sitzt und durch ein Kaleidoskop staunt. Das wollte ich dem Webcrawler und dem Poesiebot mitgeben.

Trojanows Weltensammler landete zuerst auf dem Stoss der literarischen Überproduktion, bescherte mir dann aber doch noch literarisches Vergnügen, als ich in den minderwertigen Büchern rumkramte wie eine heilige Kuh im Abfallhaufen. Die Preisträger und -Kandidaten fielen wegen ihrem austauschbaren Action-Plot und den abwegigen Milieustudien durch wie anderen die indische Nahrung. Chestertons „Der Mann, der Donnerstag war“ traf bei mir in die Vollen. Ein anarchistischer Phantast, der schliesslich vom Papst ausgezeichnet wurde. Es geht natürlich um den Sonntag, ein glatzköpfiger dunkelhäutiger Riese, der im Dunkeln sitzt, die Wahheit lebt und auch mal auf einem Elephanten davonstiebt. Sonntag ist sowohl Anarchistenanführer wie Polizeichef und führt alleine Regie. Ich suche jemanden, der meine Sprech- und Textblasen zu diesem Text illustriert.

Geschrieben habe ich wenig. Der indische Alltag weist der Normalität eine solche Vielfalt zu, dass mein Geist und meine Phantasie meist in der Realität spazierten und nur in den Träumen in meinen Kopf zurückfanden. Das Leben ist Erlebnis, das gilt es zu erleben, dazu kann ich nichts zufügen. Subjekt- und Objektwelt sind stark ineinander verwoben. Die Aussenwelt wirkt als Verdichter und Verstärker; wenn Du irgendeine Angst in Dir trägst oder Schmerzen, Mangel oder auch nur Unglauben, so schaust Du ins Antlitz der Kali, die Dir einen galligen Blutschwall ins Gesicht spuckt, eine Kette aus Menschenschädeln um den Hals. Da braucht es dann schon geistige Spannweite, die schöpferische Kraft der Zerstörung wahrzunehmen. Wenn Du aber mit einem zufriedenen Lächeln gelassen herumspazierst, offenbart sich Deine Lieblingsgottheit. Ich meine, glauben wirkt stärker im subtropischen Klima. Dafür ist man auch anfälliger für hohe bipolare Amplituden. In Indien ist allerdings die bei uns allgegenwärtige Psyche praktisch unbekannt.

Jedes mal, wenn ich in Pondicherry angekommen bin, hat sich der Globus unbemerkt um seine Querachse gedreht, haben die beiden Pole der Erdkugel die Plätze getauscht. Auf der Fahrt von Chennai sind die Gestirne, Gelände und Gewässer dort, wo ich sie auf Grund meines Vorwissens vermute. Aber bei der Ankunft hat sich alles gedreht. Ich schaue gegen Westen, und da ist das Meer, und das liegt im Osten. Da hilft auch der Kompass nichts. Immer, wenn der Kompass meine subjektive Sicht oder den objektiven Fakt zu bestätigen schien, drehte die Nadel wild und vertauschte die Pole wiederum. Die Welt stand Kopf, ich aber auf festen Füssen. Auf meiner Südindienrundreise fuhr ich nach Süden los, von Norden zurück. Nun glaube ich endlich, was ich lediglich wusste. Das Meer liegt richtig.