Bin ich von Suchmaschinen umzingelt? Im Dezember schrieb ich letztmals hier, thematisch über Lesen und Glauben (als getaufter Protestant nehme ich an, dass die Zusammenfassung „Lesen-und-Glauben“ aus meinen nackten Kinderfüssen den ganzen Weg der Nervenbahnen durchlief, um mir die Erinnerung hervorzufrufen, wie ich im Elternhaus als Bengel auf dem Klo sass und enttäuscht fesstellte, dass die langweilige Kirchenzeitschrift „Leben und Glauben“ die einzige Lektüremöglichkeit war). Seitdem verzeichnet die stats-site meines Blogs fast täglich mehrere Zugriffe und mehrfache Aufrufe.
Meine Reise schliesst direkt an den letzten hier publizierten Text zum Thema Lesen und Glauben an. Ich habe meinen flugzeugkabinentauglichen Rollkoffer mit Büchern gefüllt, im Grossgepäck waren Boulekugeln, Campari für mich sowie Schokolade für die dort, alles in ein paar Kleidungsstücke eingewickelt. Dort hab ich dann da alle meine Bücher gelesen, meist nachmittags, auf dem Tagesbett, zum Seitenblättern ein Deckenventilator mit einem stufenlosen Rotationsgeschwindigkeits-Drehregler, alles andere war mehr oder weniger Glaubenssache. Beim lesen merkt man weniger, wie dick und dicht Glaubensfeinstoffe in der Luft schweben. Als Vergleich könnte ich anführen: Die kleinsten Teilchen dieser philosophischen Substanz lagen wie ich auf dem Rücken, ein Arm jogamässig im Nacken, lasen aber heilige Texte. Meine waren profan und mussten von mir mehrheitlich schlechte Bewertungen vergewärtigen.
Aber wem erzähl ich das? Was soll da eine Suchmaschine mitnehmen und zurückmelden? Was kann sich jemand erhoffen, ausser einem gutgemeinten Scherz. Die maschinelle Lesung liefert Trockenfutter in die Dürre. Grunsätzlich ist Schreiben ein Widerspruch in sich. Man kann nicht von oder über sich selbst schreiben, weil wir uns selbst nicht objektivieren können. Man kann aber auch nicht nicht von sich schreiben, weil es keinen direkten Zugang zur Objektivität gibt. Wir sind so etwas wie der Spiegelsaal selbst, und manchmal sind wir der Besucher, der in der Mitte sitzt und durch ein Kaleidoskop staunt. Das wollte ich dem Webcrawler und dem Poesiebot mitgeben.
Trojanows Weltensammler landete zuerst auf dem Stoss der literarischen Überproduktion, bescherte mir dann aber doch noch literarisches Vergnügen, als ich in den minderwertigen Büchern rumkramte wie eine heilige Kuh im Abfallhaufen. Die Preisträger und -Kandidaten fielen wegen ihrem austauschbaren Action-Plot und den abwegigen Milieustudien durch wie anderen die indische Nahrung. Chestertons „Der Mann, der Donnerstag war“ traf bei mir in die Vollen. Ein anarchistischer Phantast, der schliesslich vom Papst ausgezeichnet wurde. Es geht natürlich um den Sonntag, ein glatzköpfiger dunkelhäutiger Riese, der im Dunkeln sitzt, die Wahheit lebt und auch mal auf einem Elephanten davonstiebt. Sonntag ist sowohl Anarchistenanführer wie Polizeichef und führt alleine Regie. Ich suche jemanden, der meine Sprech- und Textblasen zu diesem Text illustriert.
Geschrieben habe ich wenig. Der indische Alltag weist der Normalität eine solche Vielfalt zu, dass mein Geist und meine Phantasie meist in der Realität spazierten und nur in den Träumen in meinen Kopf zurückfanden. Das Leben ist Erlebnis, das gilt es zu erleben, dazu kann ich nichts zufügen. Subjekt- und Objektwelt sind stark ineinander verwoben. Die Aussenwelt wirkt als Verdichter und Verstärker; wenn Du irgendeine Angst in Dir trägst oder Schmerzen, Mangel oder auch nur Unglauben, so schaust Du ins Antlitz der Kali, die Dir einen galligen Blutschwall ins Gesicht spuckt, eine Kette aus Menschenschädeln um den Hals. Da braucht es dann schon geistige Spannweite, die schöpferische Kraft der Zerstörung wahrzunehmen. Wenn Du aber mit einem zufriedenen Lächeln gelassen herumspazierst, offenbart sich Deine Lieblingsgottheit. Ich meine, glauben wirkt stärker im subtropischen Klima. Dafür ist man auch anfälliger für hohe bipolare Amplituden. In Indien ist allerdings die bei uns allgegenwärtige Psyche praktisch unbekannt.
Jedes mal, wenn ich in Pondicherry angekommen bin, hat sich der Globus unbemerkt um seine Querachse gedreht, haben die beiden Pole der Erdkugel die Plätze getauscht. Auf der Fahrt von Chennai sind die Gestirne, Gelände und Gewässer dort, wo ich sie auf Grund meines Vorwissens vermute. Aber bei der Ankunft hat sich alles gedreht. Ich schaue gegen Westen, und da ist das Meer, und das liegt im Osten. Da hilft auch der Kompass nichts. Immer, wenn der Kompass meine subjektive Sicht oder den objektiven Fakt zu bestätigen schien, drehte die Nadel wild und vertauschte die Pole wiederum. Die Welt stand Kopf, ich aber auf festen Füssen. Auf meiner Südindienrundreise fuhr ich nach Süden los, von Norden zurück. Nun glaube ich endlich, was ich lediglich wusste. Das Meer liegt richtig.