Weisse Mentholzigaretten

Der lebendige Beweis, dass hohes Alter und Rauchen ganz vorzüglich zusammen passen, ist tot. Als Raucher finde ich das schade. Helmut Schmidt hatte das Rauchen als Privatsache behandelt, die man bitte tolerieren solle. In der Toleranzzone nur wächst langsam Kultur. Er rauchte überall und nirgendwo versuchte jemand, ihm das auszureden oder gar zu verbieten. Nur im Bundestag ordnete er sich dem schon langjährigen Rauchverbot unter und experimentierte mit Kautabak. Vielleicht war das nur politische Räson. Der Kanzler steht im deutschnationalen Organigramm nicht nur unter dem Bundespräsidenten, sondern auch unter dem Bundestagspräsidenten.

Da fehlt uns Rauchern nun eine Galionsfigur, welche dem deutschen Kulturbereich die Welt erklärte und dazu rauchte. Der uns vorführte, wie lächerlich diese Verbotskultur ist, welche den Menschen vor sich selber beschützen soll. Der Schmidt rauchte diese weissen Mentholzigaretten, auch der Filter ist weiss. Irgendwie weibliche Zigaretten. So hübsch, wohriechend, erfrischend, leicht. Und doch glühend, vollmundig, Atmung pur. Vielleicht waren diese Zigaretten das Geheimnis, das ihn seine Loki ein Leben lang lieben liess. Als mir im Frühling ein Nichraucher weis machen wollte, nun hätte sogar Schmidt mit dem Rauchen aufgehört, konnte ich seine Ehre retten, des Schmidts, nicht des Nichtrauchers Ehre: Er würde sicher gerne auch auf der Intensivstation rauchen, wenn er nicht so blödsinnig bewusstlos wäre. Auch wenn sich die eine oder andere Krankenpflegerin vielleicht mit ihm anlegen würde, weil sie den alten Schmidt nicht kennt. Aber dann ein Auge zurdrücken würde, weil die Zigaretten so schön weiss sind und eigentlich ganz gut riechen, auch wenn man hinterher lüften muss. Schmidt lag kurze Zeit mit Nikotinpflaster im Spital. Geraucht hat er dann wieder bis in seine letzten Tage.

Das mit dem Menthol kann ich schon nachvollziehen. Ich liebe es, Menthollutschtabletten zwischen rauchender Zigarette und Mundwinkel einzuschieben und die beiden Gaumenfreuden zu vermählen, neuronaler Doppelbeschuss. Aber das mit dem NATO-Doppelbeschluss kam mir damals unsinnig vor. Amerikanische Atomraketen in Europa sollen den Frieden sichern? Mir machte das Angst. Der kalte Krieg begann zu brodeln. Die Militärs unter der Führung der Amis (Dankeschön-an-die-Kriegsgewinner, ihr werdet es wohl wissen) massten sich das Sagen in Westeuropa an. Auf der anderen Seite Breschnew, ein Wrack im atheistischen Gottesstaat: Erstmals war der Boss der Kommunisten auch formaljuristisch Staatsoberhaupt. Der Kaiser hat sich selbst gekrönt. Kann man ihm nicht verübeln. Ihm wurde mitten im Höhepunkt seiner Karriere von sowjetischen Vertrauensärzten starke Hirnverkalkung diagnostiziert, da nützte auch das probate Gläschen Essig nichts mehr. Er steckte mehrere Herzinfarkte und Hirnschläge weg, bezwang seinen Ärger über die Pechserie mit reichlich Vodka und dominierte seine Entourage wie Hof und Heer und Geheimpolizei. Breschnews intellektuelle Fähigkeiten stark eingeschränkt, wertneutral formuliert. Alle hielten ruhig, bis er eines nachts die Machtinsignien fallen liess und morgens tot ins Mausoleum zügelte. Im Seniorenheim der polnischen Kommunisten munkelt man, nur der Papst Johannes zwei habe ähnlich Grossartiges erreicht.

Nein, neue Atomraketen in Europa brauchten wir nicht. Dank der Initiative und dem handwerklichen Geschick unser WG-Kindergärtnerin bauten wir an der Demo vor Ort eine riesige Rakete zusammen, die wir über unseren Köpfen trugen und auf der wir mit gemeinsam ausgeheckten Kurznachrichten die Welt mit unserer Meinung bedienten. Prompt wurden wir in den politischen Medien zum Bild-Sujet der Gesinnungspresse erkoren. Schliesslich wurden die Menschen scharenweise von den Raketenstartplätzen weggetragen und die Atombomben stationiert und startklar gemacht. Die umgekehrte Kuba-Krise, aber diesmal blieben die Atomraketen. Das Privatleben nahm  wieder Beschlag.

Schmidtchen Schmaucher stand hinter dem Stationierungsbeschluss, aber er setzte den zweiten Teil des Doppelbeschlusses durch: Die Drohkulisse wird aufgebaut, aber gleichzeitig das Gespräch mit dem Ziel der gegenseitigen Abrüstung intensiviert. Die politischen Begriffe „Aufrüstung“ und „Nachrüstung“ bekriegten sich und hielten sich in Schach, eine der vielen Formen von Tit-for-tat, nur war unklar, wer am Zuge ist. Schmidt hat tatsächlich zusammen mit Breschnew die spätere Abrüstung vorbereitet und eingeleitet. Dank seiner habituellen Raucherei behielt der Hamburger in der heissesten Phase der Weltgeschichte seit dem Amoklaufen der Nationen im World War two gekühlten Kopf. Meerluft, Mentholrauch.

Schmidt war der einzige, der so rauchen konnte, dass sich die Argumente in den ausgeblasenen Wölkchen auflösten. Seine dilettantische und anarchistische Seite lebte er beim Schach aus, da attackierte er den Gegner ohne jede vernünftige Strategie. Ich weiss nicht, was er von den Rauchverbots-, Raucheinschränkungs- und Rauchpräventionsprogrammen gehalten hat, ich nehme an, er hat dazu rauchend geschwiegen und den Überblick behalten, mal amüsiert, mal kopfschüttelnd. Im Schweizer Parlament liegt  wieder einmal ein Verschärfungspaket gegen das Rauchen vor. Rauchwaren nur noch an Volljährige. Die Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz argwöhnt, dass die Verkaufseinschränkungen wenig nützen, was sie aus der Haltung der Tabakindustrie ableitet, welche das Verbot unterstützt. Und trotz der Behauptung, der leichte Trend zu mehr Rauchern unter den 15- bis 25-Jährigen sei ganz stark auf die Tricks der Werbung zurückzuführen, ist niemand für ein Werbeverbot. Da beschäftigt sich eine eidgenössische Amtsstelle mit ihrem Lieblingsthema und beliefert gelegentlich die politische Bühne mit Zündstoff. Zigaretten sollen zukünftig in neutralen grauen Schachteln zum Verkauf gelangen. Wie komm ich dann zu meinen Lieblingszigaretten? Und der Schmidt lässt mich in dieser Situation ganz allein: Der Unsinn wird von der SP als zu harmlos kritisiert, von der SVP als zu einschneidend. Hätten wir einen Vertreter der Raucherpartei, so könnte der wenigstens dem Parlament von lins bis rechts vorführen, wie sich solcherlei Reglementierungen in Rauch auflösen lassen.

Mir kann das alles ganz egal sein. Meine erste Ernte aus Tabakeigenanbau konnte ich diese Woche fumieren. Wunderbar. Die Süsse des Virginia schmeckt hervorragend auf der Zungenspitze. Der türkische Samsoun liefert leicht salzige und bittere Noten im Gaumen. Im Rachen verflüssigt der Aufruhr und steigt ins Hirn. Nächstes Jahr werde ich einen Viertel meines Gartens für den Anbau des Schamanenkrautes Tabak reservieren und damit über meinen Eigengebrauch hinaus produzieren. Natürlich voll öko und bio, wenig eso. Die Schweizer haben im zweiten Weltkrieg die Tabakproduktion verdoppelt und ins Ausland verkauft. Vielleicht hat Schmidt damals Schweizer Tabak geraucht. Das hat ihm dann wahrscheinlich geholfen zu erkennen, dass die Nazis doof waren. Hätte er schon früher merken können, die haben ihn ja zur Hitlerjugend rausgeschmissen. In der Wehrmacht diente er sich zum Kompaniekommandant hoch und kämpfte an der Ostfront gegen Breschnews Vorgänger. Er geriet rechtzeitig in britische Gefangenschaft. Nach dem Krieg wurde er Sozi und begann zu studieren. Und rauchte dabei.