Sjhl

Etwas oberhalb der Sihlhölzlibrücke, die zum Tunnel Richtung Enge führt, beginnt die Sihlpromenade mit beidseitig herrlichen Wegen unter einem überwältigenden Platanendach. Geht man rechtsufrig, also auf der linken Seite sihlaufwärts, so sieht man nach kurzer Distanz die höchste Schwelle der Sihl. Schätzungsweise 6 Meter hoch. Da tost und brodelt es ganz schön, wenn es geregnet hat. Kaltkochende braune Brühe. Bei trockenem Sommerwetter aber ist das idyllisch erfrischend. Lädt geradezu zum ultimativen Badespass. Schwimmend kopfüber in das Auffangbecken. Oder mit Luftmatraze rücklings fussvoran den Wasserfall runter.
Ich habe nie gefragt, wie er über die Schwelle schwamm. Ich habe auch keine Ahnung, wie er auf die Idee gekommen ist. Wahrscheinlich haben sie sowas als Jungs in Bayern gemacht. Man muss natürlich schon etwas Erfahrung haben, um die Gefahren richtig abschätzen zu können. Ist das Auffangbecken genug tief, dass man aus dieser Höhe gefahrlos eintauchen kann? Genügt die Wassermasse, dass sie sicher über die Schwellenmauer trägt? Ist die obere Kante genügend tief unter Wasser, dass man nicht hängen bleibt? Ist genügend Raum, um nötigenfalls am Boden entlang flussabwärts aus der Gefahrenzone tauchen zu können? Er muss alle diese Fragen mit ja beantwortet haben. Aber sie haben ihn tot aus dem Auffangbecken gefischt. Er sei in der Wasserwalze hängen geblieben.
Ich habe immer wieder mal an ihn gedacht. Jedes mal, wenn ich an dieser Schwelle vorbeiging.
Er war ein sympathischer Bayer, aus traditionellem Mittelschichtmilieu, der in Zürich Jus studierte. Schon vormittags legte er sich ein Paar Servelats in heisses Wasser wie Weisswürste. Das sah ich dann erst wieder im Arbeitermilieu von Chur. Er war ziemlich dick und kümmerte sich scheinbar nicht ums andere Geschlecht. Mit ihm hatte man immer das Gaudi. Der schwatzte von Anfang an Schweizerdeutsch mit bayrischem Akzent. Wirklich ein netter Kerl in der Studentenwohngemeinschaft nahe der Sihl.
Ich habe seinen Namen erst kürzlich vergessen.
Wenn man also links die Sihl hoch geht, so wird man gleich unterhalb der Schwelle einen Aussichtsplatz mit Sitzbank sehen. Wunderbar. Auf diese Idee kamen wohl damals die städtische Bauherren, weil sie stolz auf das Bauwerk der Schwelle waren und Befriedigung darin fanden, die von Menschenhand gestaltete Naturgewalt zu betrachten. Gefällt mir natürlich auch, weil ich da einen Ort finde, der identitätsstiftend und identitätserweiternd wirkt. Nur einmal, bei schönstem Wetter, war der Platz durch ein Päärchen besetzt, das noch so jung war, dass sie nach schönen Orten suchen, wo man kein Geld braucht. Sonst ist man dort allein und kann die Schwelle beobachten.
Es gibt einen kleinen Weg zur Sitzbank. Man geht gut zwanzig Schritte weiter, und bevor der Holzzaun endet und ein Stahlgitterzaun beginnt, findet sich ein Tor, geschlossen, aber wenn man über den Zaun greift, lässt es sich öffnen.
Auf der anderen Sihlseite, vis-à-vis, gibt’s ebenfalls eine Sitzbank. Aber kein Tor. Da muss man über den Zaun rüber. Darum ist der Aussichtsplatz dort versifft. Dort hauen sich Junkies einen rein.
Da sind Fische, die den Fluss hochschwimmen wollen. Wahrscheinlich zu ihrem Geburtsort, wo sie Junge zur Welt bringen wollen. So ist das doch bei diesen Fischen. Überall werden Fischtreppen gebaut, damit die Fische wieder etwas besser ihrer Natur gemäss leben können. Aber von der Sitzbank unter der Sihlallee sieht man das dramatische Kämpfen gegen die Unmöglichkeit. Da gibt es Fische, würde mal sagen Forellen oder etwas Verwandtes, einige weit über 30 Zentimeter, die springen bis über 2 Meter hoch, bis sie wieder heruntergespült werden. Erinnert an Fitnesscenter, aber die Fische haben keine Chance.
Also. Tun wir war für die Fische. Und für uns. Machen wir Verschönerungskunst, natürlich ökologisch, sozial, nachhaltig. Bauen wir eine Fischrutschbahn mit Steig-Aufzug, Beobachtungsgalerie, Videoübertragung und interaktivem Archiv. Ein grosses Wasserrad mit Wasserkästen, durch den Wasserfall betrieben. Fische, die im Auffangbecken in die ruhige Zone schwimmen, werden von einem der Kästen hochgehoben. Auf dem höchsten Punkt, deutlich über der Schwellenkante, öffnet sich die Kastenaussenwand, und das Wasser giesst sich in eine Rutsche. Schwupp, der Fisch landet im Oberlauf.
Die Apparatur produziert die Aufhebung der Fischsperre durch die Wasserkraft der Schwelle. Die Energie wird benutzt, um einen Teil des heruntergefallenen Wassers gleich wieder hochzuwuchten. Aber nicht wie ein Pumpspeicherkraftwerk, dem Energieverlust durch Rückverwandlung zum finanziellen Vorteil gereicht, sondern durch unmittelbare Nutzung der Energie, mechanisch, kontinuierlich, langfristig.
Dem Betrachter zeigt sich ein Wasserspiel. Und ein Fischroulette. Man kann beim Rad und Steigaufzug Wetten abschliessen. Wer darauf wettet, dass in einem Wasserkasten ein Fisch von deutlich mehr als zehn Zentimeter Richtung Rutschbahn fährt, und tatsächlich schwimmt ein solcher Fisch im hochkommenden Kasten, kassiert eine Quote von 1:10. Wer auf dem Abendspaziergang ein Zehnernötli setzt und Glück hat, geht in ein Speiselokal und verprasst einen Hunderter.
Und gleichzeitig sind die Zockerkästen unendlich beschaulich. Geradezu Zen. Dieses Schauspiel kann man sich via 3D-Livecam zu Hause anschauen. Wird schnell Kult werden: Immer dieses leicht trübe Wasser mit Oberlichteffekten, und plötzlich sind wir Aug in Auge mit einem Fisch, so lange er hochfährt. Vom Bildschirm aus verbreitet sich meditative Stimmung in der Wohnung. Auch geil zum chillen und loungen, vor allem mit der life erzeugten Wasser- und Fischmusik.

Tretet dem Syndikat Verschönerungskunst bei!

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