Nullzinspolitik

Wer die Fleischproduktion aus ernährungspolitischen Gründen ablehnt, kann sich selber konsequent vegetarisch ernähren. Wer Atomkraftwerke ablehnt, kann atomfreien Strom beziehen. In vielen Bereichen können wir unsere Werte hochhalten und ein besseres Leben leben. Positive Beispiele werden Schule machen.

Zinsfrei zu leben ist uns aber verwehrt. Wir bezahlen Zinsen und wir bekommen Zinsen. Sozialstaatliche Regulierungen und wirtschaftliche Aktivitäten beruhen immer auf marktwirtschaftlichen oder technischen Zinsannahmen. Diese sind allerdings nicht so einfach nachvollziehbar. Nationalbanken haben den Negativzins neu erfunden, nachdem die Schwundgeld-Anhänger verstummt sind. Andererseits rechnen Vorsorgeinstitutionen immer noch mit einem langfristig mit grosser Sicherheit zu erwartenden Anlageertrag (sogenannt „technischer“ Zinssatz) von über 3%. Milliardenbeträge rasen blind um die Welt auf der suche nach Rendite. Privatanlegern wird empfohlen, das Ersparte gestückelt als Bargeld auf verschiedenen Konten zu deponieren oder, noch besser, gut zu verstecken. Und Finanzpolitiker denken daran, Bargeld zu verbieten. Die Zinsmaschine stockt. Die Zeit scheint reif, über eine Schweiz ohne Zins nachzudenken. Die Bundesverfassung sollte im Namen Gottes mit diesem Grundwert ergänzt werden.

Zinsen haben seit je fasziniert. Mit Zinsen lässt sich Unglaubliches anstellen. Joseph hat bei der Geburt Jesu einen Euro-Cent bei einem Geldverleiher angelegt, der ihm 5% Jahreszins bot (der Geldverleiher verlieh den Cent für 10 oder auch 20% weiter). Joseph lässt die Zinserträge stehen, bis seine Nachkommen im Jahr 2000 den „Josephspfennig“ samt seiner Erträge zurückhaben wollen. Das Guthaben beträgt 2,39 mal 10 hoch 40 Euro. Das ist eine grosse Zahl, die sich nicht realistisch veranschaulichen lässt: 421 Milliarden Erden aus Gold (zum Goldpreis im Jahre 2000). Das ist eigentlich Beweis genug, dass zinsgetriebenes exponentielles Wachstum nicht funktionieren kann.

Natürlich kann man einwenden, dass der Zinseszins des Teufels ist, Wucher eben, nicht der Zins. Ohne Zinseszins hätten Josephs Nachkommen genau 1.01 Euro bekommen. Ein Zinsmodell ohne Zinseszins funktioniert aber nicht. Man sieht auf dem Saldo Ende Jahr dem Zins nicht an, dass er Zins ist. Er verwandelt sich automatisch in Kapital. Hätte Joseph und seine Nachfolger jeweils am 31. Dezember das Kapital inklusive Zins einkassiert und am 1. Januar das ganze Sparguthaben wiederum für ein Jahr dem nächsten Geldverleiher anvertraut, würde ihre Forderung eben auf 421 Milliarden Erdbälle, aus Gold, lauten.

Zinsgeschäfte sind unanständig. Wenn jemand in Geldnot ist, helfe ich ihm, oder auch nicht, aber ich mache kein Geschäft aus der Not. Wenn jemand Geld braucht, um eine Geschäftsidee zu verwirklichen, so leihe ich, oder auch nicht. Wenn ich Geld verleihe, trage ich Risiko mit und will am Erfolg beteiligt sein. So einfach ist das. Der Tanach verbietet den Juden, Zins zu nehmen (später hat man das dann so interpretiert, dass Juden untereinander keinen Zins nehmen, von Nichtjuden schon). Der Papst hat bis ins 18. Jahrhundert verboten, Zins zu nehmen (da kamen die Juden als Geldverleiher erst mal gelegen). Der Koran verbietet Zins ebenso. Unser Vordenker Aristoteles stellte ebenfalls fest, dass Zins wider die Natur sei. Zins ist Geld gezeugt von Geld, und da Geld nicht lebt, kann es nichts zeugen.

Könnten wir über einen Verfassungsartikel abstimmen, der die Schweiz zum zinsfreien Paradies erklärt, würden Banken und Politiker Schreckensszenarien malen, technische Alternativlosigkeit behaupten und an die ehrenhaften Sparer apellieren. Tatsächlich profitieren wir aber nicht vom Zins. Selbst die Verzinsung unserer Altersguthaben bezahlen wir selbst. Zum Beispiel mit der Miete für die Wohnung, die der Anlagestiftung der Vorsorgekassen gehört. In fast allen Preisen ist ein Aufschlag für Verzinsung enthalten. Nur Besitzer von überdurchschnittlich grossen Kapitalien können, zumindest theoretisch, vom Zins profitieren. Eine konsequente Nullzinspolitik bringt nur Vorteile. Ich freue mich, dass bald goldene Kirchentürme gebaut werden statt kühle Businesstowers.

 

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