Metainterview

Alter ego: Die Sommerferien sind vorbei. Deine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen gehen wieder ihrer beruflichen Tätigkeit nach. Wie geht es Dir?

Ego: Mir geht es gut. Wie kommst Du auf die Idee, mit mir ein Interview zu führen?

Alter ego: Ich habe Dich seit Deinem Abgang aus dem Büro etwas beobachtet. Mir scheint, dass Du Dich immer noch so benimmst, als hättest Du bis gestern spät abends hart gearbeitet. Wie viel schläfst Du?

Ego: Ich schlafe viel. Gerne auch mal nachmittags. Ich schlafe gerne. Ich schlafe immer aus, so lange, bis ich Lust habe aufzustehen, einen grossen Latte macchiato – bestreut mit etwas Schokopulver – zu trinken, zu rauchen und auf dem I-Pad nachzuschauen, was auf der Welt so vor sich geht. Wenn ich mal früh aufstehen will, was selten vorkommt, stelle ich den Wecker, erwache aber gewiss früher. Was willst Du mehr?

Alter Ego: Du hast – auch bei der Arbeit – gerne mal Montaigne sinngemäss zitiert, als ethische Instanz in der Philosophie. Nun scheint mir, dass Du in den Augen Montaignes das Leben eines Müssiggängers führst und unser lieber Montaigne Dich der Verdammnis überantworten würde.

Ego: Wer bist Du eigentlich? Mein Über-Ich? Soll das eine Art pädagogisches Meta-Interview werden?

Alter Ego: Wahrscheinlich bin ich schon sowas wie Dein Über-Ich, eigentlich unser Über-Ich, wir sind ja alle längst multiple Persönlichkeiten ohne dysfunktionale Symptome. Ich bin Deine psychische Verbindung mit den angeblich konstruierten Normen, oder, noch allgemeiner, Deine Sozialisierungsinstanz. Du solltest mir dankbar sein. Wenn Du Liebe empfindest, bin ich dabei.

Ego: Das Freudsche Menschenbild beschreibt nur noch dessen Anhängerschaft. Ich habe damit nichts zu tun. Diese Psychotheorie hat nur überlebt, weil da Sexualität immer der Schlüssel ist. Ich bin nicht meine Psyche, ich habe eine Psyche. Meine Vernunft will sich ständig an die Seele schmiegen, mein Denkvermögen orientiert sich am  lebendigen Gott in der Seele. Dafür habe ich ein Gespür entwickelt. 

Alter Ego: Du hattest ja bei einigen schon lange den Ruf, gelegentlich Predigten zu halten. Deine Lebenseinstellung und Form des Glaubens hätte etwas Fanatisches, hat Dir ein Künstler-Kollege mal gesagt. Aber hat ja auch etwas Fantastisches, lassen wir das. Ich bin nicht Deine Sozialisierungsinstanz. Das kannst Du selber machen. Aber ich bin vielleicht so etwas wie eine interne Objektivierungsinstanz, ganz unter Deiner Kontrolle wie Deine Psyche.

Ego: Du Schwuchtel, Du schmeichelst schon wieder! Ich habe nicht viel anderes gemacht als Montaigne: Ich habe mein Amt niedergelegt und mich ins Turmzimmer zurückgezogen. Nur bin ich ein imaginärer Schlossherr. Ja, ich befürworte Dich als interne Objektivierungsinstanz, das hilft mir objektiv, als Subjekt in der Welt und unter Subjekten. Aber lassen wir das. Und versuche nicht mehr, mir mein Schlafen zu vermiesen, Du bist nur neidisch, du Psyche, Du!

Alter Ego: Du! Du! Du bist das Objekt!

Ego: Nein Du! Du machst mich zum eigenen Objekt, das ist ja Deine Funktion – also bin ich das Subjekt und Du mein Objekt, Du Trottel!

Alter Ego: Also, ich bin jetzt etwas anderes. Mir ist egal, wer oder was ich für Dich bin. Ich mach hier nur meinen Job. Ich stelle Dir Fragen. Wie geht es Dir gesundheitlich?

Ego: Gut. Sogar mehr als das: Besser.

Alter Ego: Wenn es einem besser geht, ging es einem vorher nicht so gut.

Ego: Ich weiss, worauf Du anspielst. Durch die lange Zeit ohne Bewegung war ich vor den Sommerferien etwas erstarrt. Ich fühle mich körperlich besser. Der Geruchssinn ist immer noch weg und der Tinitus immer noch da, aber ich hoffe immer noch, dass die gelegentlich ihre Plätze tauschen. Meiner Nasenschleimhaut habe ich seit drei Wochen Urlaub am Meer gegönnt, ich habe mir einen entsprechenden Nasenspray erworben. 

Alter Ego: Und wie steht es mit Deinen Plänen? Das hat ja eine Zeit lang ausgesehen, als wolltest Du Dich absetzen – und Wanderprediger werden (leise nachgeschoben, d. Vf.).

Ego: Ich habe Dich nicht verstanden, das Pfeiffen, Du weisst.

Alter Ego: Deine Pläne! Frankreich!

Ego: Ach ja, Frankreich ist auf unbestimmt verschoben. So lange der Sommer zu mir kommt, gehe ich nirgendwo hin. Ich kann auch hier tun, was ich will. Mir ging es ja darum, nach der Pflicht noch eine Runde Kür zu fahren.

Alter Ego: Ist Dir manchmal langweilig?

Ego: Dazu werde ich einen Blog schreiben.

Alter Ego: Interessiert Dich das Thema Schulqualität noch?

Ego: Neulich zu Besuch bei meiner greisen Mutter hat sie mir einen ganzseitigen Zeitungsartikel über die Zustände an der Sek Spitz in Kloten gegeben mit den Worten: „Ich weiss, dass Dich das Thema nicht mehr so interessiert, das aber musste ich Dir zu Seite legen.“ In Kloten war ich vor den Sommerferien noch involviert. Der peinliche Vorfall während der Evaluation, als der Schulpräsident einem Kritiker den physischen Zugang zu einem Eltern-Interview im Rahmen der externen Evaluation persönlich verwehren wollte und ihn dann doch teilnehmen liess, steht nun in der Zeitung. Und da steht auch die Vermutung, dass der Evaluationsbericht wohl so lange unter Verschluss gehalten werde, weil darin – dem Vernehmen nach – vernichtende Kritik geäussert werde. Genau das hatte ich ihm prophezeit, als er von mir wollte, dass ich den Bericht bis im Herbst zurückhalte. Ja, alle haben das gute Recht, schlechte Fehlentscheide zu treffen. Selbst der Souverän. Pädagogischer Schwank, das finde ich schon interessant, als Zuschauer.

Alter Ego: Vermisst Du die ehemaligen Arbeitskolleginnen und -kollegen als Menschen?

Ego: Ja. Ich werde die einen und anderen bestimmt wiedersehen. Am Dienstag könnte ich zum Beispiel mit Jasna zu Mittagessen, sie ins Migros-Personalrestaurant einladen, wenn sie Zeit und Lust hat.

Alter Ego: Hast Du sie schon gefragt?

Ego: Warum soll ich sie schon gefragt haben? Sie liest das ja in diesem Moment!

Alter Ego: Ich ziehe mich nun wieder zurück in Deinen Schüttelschädel.

Ego: Mach, was Du willst. Das mach ich ebenso. Wenn Du in meinen Schädel gehst, schalt bitte den Tinnitus ab, Du Pfeiffe. Ich schreib jetzt meinen Blog fertig.