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Lieber Alexis Tsipras

Toll, wie das griechische Volk „nein“ sagte zur politischen Agenda der Institutionen. Ein Staat ist keine Firma, die von den Kapitalgebern auf Wachstum und Rendite getrimmt wird. Schon gar nicht Griechenland – unsere Mutter abendländischer Kultur. Sokrates, Plato, Aristoteles und alle anderen grossartigen Denker der griechischen Antike bilden noch heute die Grundlage unseres Geisteslebens.

Ich kaufe nun wieder fleissig Retsina und griechischen Schafkäse, das passt zum schweizerischen Sommer und ist auch ein Zeichen der Solidarität mit den mutigen Hellenen. 1972 bereiste ich mit guten Freunden das erste Mal Griechenland. Schnell lernten wir, dass wir uns gleich als Schweizer zu erkennen geben mussten, weil wir Deutsch sprachen. Wir waren von der Verfilmung von Alexis Sorbas fasziniert und warfen die geleerten Ouzo-Gläser an die Wand, bis der Wirt auf ein Bildnis von Papadopoulos zeigte und uns erklärte, dass das nun verboten sei.

Heute bietet sich Griechenland und Dir, lieber Alexis, die Chance, eine soziale Gesellschaft aufzubauen. Es liegt in der Luft, die Herrschaft der Finanzindustrie zu brechen und den Kapitalismus in der warmen Sommerluft aushauchen zu lassen. Die Pläne der Institutionen sind kein Wegweiser für die griechische Zukunft, sondern hilflose Rettungspläne für die parastaatliche Finanzindustrie der Gläubiger. Die Gläubiger heissen so, weil sie daran glauben, dass sich Geld vermehrt.

Nun, es sind wieder Notkredite nach Griechenland geflossen. Aber nur, um gleich wieder weg und zurück zu fliessen. Das mag alles den Anschein von Normalität machen. Allerdings werden die Laufzeiten der Kredite verlängert werden müssen, Lagarde spricht von 40 Jahren. Damit können einige leben – die heute aktive Generation ist dann ja weg, bezahlen sollen die Nachkommen. Die Schuldenflut ist die neue Sündenflut.

In den letzten Tagen konnte man viel lesen über die „Tragfähigkeit der Schulden“, wie sprachverluderte Journalisten formulieren. Gemeint ist natürlich die Tragbarkeit. Eine Brücke ist mehr oder weniger tragfähig, auch die Griechen und wir alle, aber Schulden können gar nichts tragen. Wir sollten keine Schulden machen, sonst müssen wir Schulddienst leisten. Zinsgeschäfte sind immer gute Geschäfte für die Geldverleiher. Für die Kreditnehmer sind sie gute Geschäfte, wenn das ausgeliehene Geld eine höhere Rendite abwirft, als  es Zinsen kostet. Diese kapitalistische Hebelwirkung funktionierte einmal in der Industrie und der Finanzwirtschaft, aber nie bei Staaten. Wenn wir uns von der Vorstellung einer ewig wachsenden Wirtschaft verabschieden wollen, weil das unseren Planeten zerstört, so sollten wir uns von der Zinswirtschaft verabschieden.

Ihr Griechen habt laut darüber nachgedacht, was mit dem Schuldenberg passieren soll. Schuldenerlass, Schuldenschnitt, Stundung, Verrechnung mit Reparationszahlungen, Umschuldung, Zahlungsverweigerung standen zur Diskussion. Jetzt scheinen auf beiden Seiten wieder die Technokraten das Sagen zu haben und schmieden Pläne, welche davon ausgehen, dass die Rechnung irgendwann aufgehen muss. Ihr habt Euch standhaft geweigert, einfach die Planspiele der Institutionen aufzuführen mit Verkauf von Staatseigentum und Kürzungen der Sozialausgaben. Aber nun habt ihr ein bisschen eingelenkt und erst mal die Mehrwertsteuer erhöht – die unsozialste Steuer, die wir Linken schon immer bekämpft haben. Die Probleme werden nicht kleiner.

Lieber Alexis, Du steckst ganz schön in der Zwickmühle. Einerseits möchten die Griechen die Schulden eigentlich nicht zahlen und sich nicht diese schreckliche neoliberale Wirtschaftspolitik verpassen lassen. Aber sie möchten den Euro behalten. Aus dem Euro aussteigen scheint nur für Minderheiten wie die griechischen Kommunisten und Wolfgang Schäuble eine ernsthafte Option. Aber vielleicht kann man den Euro behalten, und trotzdem aus dem Euro aussteigen?

Ich schlage vor, dass Du selber Euroscheine drucken lässt. Das wird uns alle etwas erfrischen.

Du kannst dann der EU und den Institutionen (diesen Punkt konntet ihr verbuchen, hier schreibt niemand mehr „Troika“) mitteilen, dass ihr jetzt Euer eigenes Geld druckt, die Schulden damit gestrichen sind und die Buchhaltung wieder bei Null anfängt. Damit das politische Verhältnis zwischen der EU und Griechenland nicht unnötig gestört werde, sollten die Buchhalter der Institutionen doch bitte die entsprechenden Beträge ebenfalls löschen.

Die Zwieback-Angela wird nicht mehr mäkeln, sondern schäumen und feuchte Augen kriegen. Durch die Politiker Eruopas und die globale Finanzindustrie wird eine Welle der Empörung brausen. Als Echo werden sie das Gelächter des Volkes vernehmen.

Die Scheine sehen zwar auf den ersten Blick gleich aus. Die Währungseinheit ist weiterhin in lateinischer und griechischer Schrift ausgewiesen. Aber nicht mal Blinde können die Scheine verwechseln. Papier- und Druckqualität sind etwas billiger und vor allem ist nicht EZB als Herausgeber, sondern Trapeza tis Ellados, griechische Zentralbank, aufgedruckt. In Griechenland bezahlen wir die Staatsausgaben mit diesen Scheinen und nehmen sie für Zahlungen an den Staat entgegen. Unsere Rechnung geht wieder auf.

Bei uns in Griechenland bleiben alle Euro, alte und neue, im Umlauf. Man kann sie auch gegeneinander tauschen und wir handeln auch mit beiden. Bald wird die Unterscheidung obsolet und sie sind in ganz Griechenland als gleichwertig akzeptiert. Nicht zuletzt, weil wir die heute vielerorts praktizierte Nullzinspolitik in die Verfassung geschrieben haben. Wir nehmen und zahlen in Griechenland nie mehr Zinsen, unsere Geschäfte beruhen auf beidseitiger Solidarität.

Herzliche Grüsse

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