Ein weiteres Definitivum

Neben meinem Garten den Hagwiesenweg hoch, quere ich den Panoramaweg, schlendere noch weiter nach oben. Dann rechts Richtung Wald und ich befinde mich auf dem Zielweg. Wohin der führen mag? Ich gehe nur einige Schritte bis zur nächsten Sitzbank, setze mich und denke nach.

Das erste mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, einen definitiven, unumkehrbaren Schritt getan zu haben. Ich habe eine Woche voller Abschied hinter mir, die berufliche Laufbahn ist beendet; Erwerbsarbeit wird mich nur noch als Beobachter interessieren. Bin müde von der blossen Präsenz an den Abschiedsveranstaltungen, aber glücklich, dass ich jetzt Privatier & Author bin.

Wahrscheinlich hatte ich dieses Gefühl, etwas wirklich Definitives getan zu haben, schon viele Male. In der Erinnerung verflacht sich das Drama des Unwiderruflichen zur Anektote. „Für immer“, „ewig“ sind Worte, die sich verflüchtigen. Nur im Moment ist die Ewigkeit erfahrbar, nicht aber in der Zeit. Die Sehnsucht bleibt ungestillt: Es gibt keine Befriedigung, nur Erschöpfung.

Für immer zu mir gehören sollte das Tattoo, das ich mir als junger Mann in Brüssel stechen liess. Ich hatte noch einige Stunden Aufenthalt bis zum Rückflug. Den nötigen Mut zu diesem irreversiblen Schrittchen schöpfte ich aus der Launigkeit der überschüssigen Zeit. Der bunte Schmetterling hat sich in den zwischenzeitlichen Ewigkeiten in einen zerfliessenden dunklen Fleck verwandelt, der an eine Fledermaus in der Dämmerung erinnert. Die Samenleiter habe ich mir – viel später 🙂 – durchtrennen lassen, um nie wieder Zeuge ungeborenen Lebens zu werden. Im Rückblick kaum verschieden vom Schneiden der Fingernägel. Ich habe diese und jene definitive Entscheidung getroffen. Irgendwie ging es immer weiter, ziemlich unabhängig von meinen Entscheiden.

Vielleicht verhalte ich mich etwas anders, als ich das als Berufstätiger tat. Am Nachmittag einfach schlafen, wenn mir danach ist. Morgen- und Abendrituale ausdehnen. Mit der Vespa zu meiner Mutter fahren, weil die Schranktür klemmt und sie nicht an ihr Badezeug kommt. Mich frühzeitig auf den Weg machen, wenn ich wohin will. Und alles genüsslich gemächlich.

Und ich werde anders wahrgenommen. Als ich einer langjährigen Freundin erzählte, wie es mir in der neuen Situation ergeht, erkannte sie gleich Verhaltensmuster, die sie auch durchlebt hatte, als sie vor zwei Jahren frühzeitig aus ihrer Erwerbsarbeit im Schulsekretariat Uto ausstieg. Mein HMO-Arzt setzte seine professionelle Miene auf und erkundigte sich nach meiner Tagesstruktur. Und nach eventuell vorhandenen Hobbies. Er buchte dann meine Leidenschaft für das Boule-Spiel als seinen Erfolg: „Sehr gut, spielen sie unbedingt viel Boule, das stärkt die Konzentrationsfähigkeit, trainiert das Hirn, Koordinationsfähigkeit, Motorik, räumliche Orientierung…“. Erstmals keine moralisierenden Fragen nach Rauch- und Trinkgewohnheiten. Leider kam er nicht auf die Idee, mir ärztlich neue Boule-Kugeln zu verschreiben. Auf einen nächsten Kontrollbesuch liess ich mich nicht festlegen. Ich melde mich dann mal wieder.

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